„In den Städten wird sich entscheiden, ob wir verantwortungsvoll mit unserem Planeten umgehen“

Interview und Podcast: Prof. Dr. Hannes Taubenböck (DLR)

Stadt, Land, Klimawandel. Auf diesen Dreiklang lassen sich viele unserer urbanen Herausforderungen herunterbrechen – sprich ein Themenkomplex, auf den auch Unternehmen verstärkt Antworten finden müssen. Welche Risiken und Chancen für Unternehmen im Urbanisierungsumfeld bestehen und welchen Wertbeitrag die Fernerkundung bieten kann, darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Hannes Taubenböck. Er ist Abteilungsleiter am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und Inhaber des Lehrstuhls für Globale Urbanisierung und Fernerkundung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Herr Prof. Taubenböck. Als Inhaber des Lehrstuhls für globale Urbanisierung beschäftigen Sie sich auch mit den Risiken und Chancen, die die weltweite Urbanisierung mit sich bringt. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie hier?

Hannes Taubenböck: Zunächst sollte man sich bewusst machen, dass Urbanisierung einer der Treiber des globalen Wandels ist. Das heißt, wir sind aktuell rund acht Milliarden Menschen auf unserem Planeten und vor zehn bis 15 Jahren war so eine Art heimlicher Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Ab diesem Zeitpunkt lebten statistisch gesehen zum ersten Mal mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Wenn wir nun auf die Prognosen schauen, so werden in den kommenden 20 bis 30 Jahren rund zwei Milliarden Menschen mehr auf der Erde leben. Und diese zusätzlichen Erdenbürger werden alle Stadtbewohner sein. Das heißt im Umkehrschluss: In den Städten wird sich entscheiden, ob wir verantwortungsvoll mit unserem Planeten umgehen und inwieweit wir eine gute, funktionierende Gesellschaft schaffen. Wissenschaftliche Studien haben eindrucksvoll nachgewiesen, dass Urbanisierung ökonomisch und ökologisch unheimlich sinnvoll ist. Aber schaffen wir es, diesen weltumspannenden Prozess auch sozial verträglich für alle zu gestalten? Das ist eine der großen Fragen.

Und wenn Sie das Ganze auf Unternehmen fokussieren?

Hannes Taubenböck: Wenn wir uns klar machen, dass momentan bereits 56 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, die ca. 80 Prozent des Bruttosozialproduktes dieser Welt produzieren, sind Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Form vom Prozess der Urbanisierung betroffen. Darüber hinaus verbrauchen Städte 60 Prozent der globalen Energie oder produzieren Zweitdrittel aller Treibhausgase. Alles Effekte, die für Unternehmen von Relevanz sind oder sein werden, weil sie Kosten und Risiken verursachen und die Exposition von Unternehmen, ihren Mitarbeitern und den Assets dort besonders geballt auftreten. In einem global vernetzten System bedeutet das für Unternehmen beispielsweise, dass eine Naturkatastrophe oder ein Krieg weit entfernt von Deutschland, potenziell Auswirkungen hat. Denken Sie zum Beispiel an Zulieferer, die entscheidende Bausteine eines Produktes vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr produzieren können oder an Risiken entlang der Handelswege durch eine Unterbrechung von Lieferketten.

Apropos Naturkatastrophen. In diesem Zuge umrissen Sie jüngst in einem Vortrag die Risiken, die für Menschen und Unternehmen durch Naturkatastrophen auch im ländlichen Raum bestehen, das Ahrtal ist hier ein warnendes Beispiel. Können Sie das Fallbeispiel des Starkregenereignis aus Ihrer Heimat bitte umreißen und die Folgen für Unternehmen benennen?

Hannes Taubenböck: Ich komme aus Simbach an Inn in Niederbayern. Wenn Sie die Nachrichten 2016 verfolgt haben, so erinnern sie sich vielleicht, dass es damals ein langanhaltendes, stationäres Starkregenereignis im Oberlauf des Simbach, namensgebend für die Stadt Simbach, gab. Durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen wurde das Wasser im Oberlauf aufgestaut, hat sich mit einem Ruck Bahn gebrochen und es rollte ein Tsunami durch die Kleinstadt. An diesem Tag starben fünf Menschen und die Wirtschaftskraft wurde nachhaltig gestört. Das Bestürzende daran finde ich unter anderem, dass man diese Risiken in Deutschland oft nicht im Blick hat. Wir wissen sehr gut, wo Fließgewässerhochwasser stattfinden können, beispielsweise entlang des Inn oder am Rhein. Das können wir hierzulande gut berechnen und die entstehenden Gefahren haben wir technisch gut im Griff mit Dämmen oder mobilen Wänden. Aber andere Ereignisse, wie Starkregen oder Hangrutschungen sind nicht immer auf unserem Radar. Oft ist uns gar nicht klar, welchen Risiken wir in diesen Gebieten ausgesetzt sind. Das betrifft auch Unternehmen, denen vielfach nicht klar ist, in welcher exponierten Lage sie sich befinden und wie hoch die Risiken durch den Klimawandel sind.

Welchen Stellenwert gewinnt in diesem Kontext die Analyse und Auswertung von Daten aus dem All, gerade für das Risikomanagement?

Hannes Taubenböck: Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt betreiben wir das sogenannte Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation - ZKI. Im Kontext dieser Arbeit nutzen wir Fernerkundungsdaten, um bei Naturkatastrophen oder anderen humanitären Notlagen möglichst schnell, unabhängige, räumliche Daten zur Verfügung zu stellen. Das heißt, wir haben ein Team, das sich beispielsweise bei einem Erdbeben oder Hochwasserereignis einsetzt möglichst schnell exponierte und geschädigte Areale zu kartieren. Anfang des Jahres bei dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien haben wir sofort mit hochaufgelösten Satellitendaten kartiert, um zu erfahren, wo und wie viele Gebäude beschädigt sind. Dies sind wichtige Informationsgrundlagen für Entscheidungsträger vor Ort. Gleichzeitig haben wir auch die Algorithmik so weit vorangetrieben, dass wir standardmäßig Hochwasserprodukte oder ein Feuermonitoring in Deutschland und Europa betreiben. Das heißt, die Daten stehen tagesaktuell zur Verfügung. Die Fernerkundung kann dabei natürlich in erster Linie in die Vergangenheit schauen, und aktuelle Situationen erfassen, in die Zukunft jedoch ist das noch weniger möglich. Aber ich denke und hoffe, mit einer möglichst guten Zeitreihe werden auch Prognosen immer verlässlicher.

Abschließend die Frage: Wenn Sie für Unternehmen einen Wegweiser in Richtung verlässlicher Daten und Zahlen im Urbanisierungsumfeld aufstellen müssten, wohin würde dieser aus Ihrer Sicht zeigen?

Hannes Taubenböck: Wir leben in einem Zeitalter, in dem es immer mehr Daten gibt. Wir sind quasi von einer Datenflut bedroht. Nun müssen wir versuchen diese Daten in vernünftige Bahnen zu lenken. Konkrete Beispiele unsere Daten aus der Fernerkundung zu nutzen sind Behörden oder auch  die Rückversicherungsbranche.  Hintergrund sind die bei Letzterem Rückversicherungen globaler Unternehmen, deren Produktionsstätten manchmal auch in den Städten des globalen Südens liegen. Dazu gibt es oft nur wenige Informationen vor Ort. Die Erdbeobachtung erlaubt es uns dann, zu der Exposition der Produktionsstätten gegenüber Naturereignissen eine erste Einschätzung zu geben oder umgekehrt Einschätzungen zu bieten, ob ein Versicherungsfall auch gerechtfertigt ist. Damit bilden Geodaten einen wichtigen Pfeiler in der Bewertung von Risiken in global vernetzten Systemen.

Mehr erfahren Sie in unserem aktuellen Podcast mit Prof. Dr. Hannes Taubenböck zu: „Die Chancen und Risiken der Urbanisierung“ auf RMA on Air. Also, einschalten, reinhören und Ausblicke gewinnen.


Prof. Dr. Hannes Taubenböck: Abteilungsleiter am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und Inhaber des Lehrstuhls für Globale Urbanisierung und Fernerkundung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Bildquelle: Martin Wegmann/JMU Würzburg