Der neue IDW PS 340 n.F. (2020) für die Prüfung der Risikofrüherkennungssysteme / Verbesserungen und Unschärfen

Editorial der RMA-News im Controller Magazin

Editorial der RMA-News im Controller Magazin

Liebe Leserinnen und Leser,

seit Juni 2020 ist der neue IDW Prüfungsstandard 340 verfügbar. Es ist zunächst anzumerken, dass dieser, anders als der DIIR RS Nr. 2, nur gesetzliche Anforderungen aus §91 AktG betrachtet und nicht diejenigen aus §93 AktG (Business Judgement Rule). Basierend auf dem IDW PS 340 wird geprüft, ob ein Unternehmen in der Lage ist, mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ (§91 AktG) früh zu erkennen. Ob und inwieweit im Sinne der Business Judgement Rule Risikoinformationen bei der Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“ (§93 AktG) Berücksichtigung finden, ist dagegen nicht im Fokus. Stärker betont wird nun die Pflicht eines Unternehmens zur Risikoaggregation der (Brutto-)Risikotragfähigkeit (Risikodeckungspotenzial). Zudem wird klargestellt, dass bei der Risikoquantifizierung letztlich „Netto-Risiken“ zu zeigen sind. Auf die notwendige Betrachtung möglicher bestandsgefährdender Entwicklungen durch die „Herabsetzung des Ratings“ oder einer Verletzung von Kreditklauseln („Covenants“) wird nun hingewiesen. Die wesentlichen Grund elemente eines Risikofrüherkennungssystems und die Dokumentationspflichten des Unternehmens werden ebenfalls präzisiert.

Die Präzisierungen im IDW PS 340 n.F. waren notwendig, weil

1. Rahmenbedingungen sich geändert haben (siehe Basel II) und
2. empirische Studien zeigen, dass die heute implementierten Risikofrüherkennungssysteme die gesetzlichen Mindestanforderungen meist nicht erfüllen.

Wie gravierend die Defizite sind, zeigen die aktuelle Studie von Köhlbrandt/Gleißner/Günther (CorporateFinance, Heft7-8/2020,S.250-259) und die „Benchmark-Studie Risikomanagement“ 2020 von Deloitte. Es ist erschreckend, dass gemäß der Umfrage von Deloitte 43% der Unternehmen angeben, die „Addition von Schadenserwartungswerten“ vorzunehmen. Besonders erschreckend ist, dass viele Abschlussprüfer offenbar bisher nicht klarstellen, dass dies kein geeignetes Risikoaggregationsverfahren ist. Dies ist leicht zu erkennen:

Angenommen ein Unternehmen mit Eigenkapital 80 hat genau zwei Risiken, R1 und R2. R1 hat eine erwartete Schadenshöhe von 200 und eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 10%. R2 eine erwartete Schadenshöhe von 100 und eine Eintritts-wahrscheinlichkeit von 20%. Der Gesamtschadenserwartungswert ist damit 200 x 10% + 100 x 20% = 40 und kleiner als das Eigenkapital. Aber jeder Risikoeinschlag führt zur Überschuldung und ist bestandsgefährdend.

Zudem scheinen nur 18% der Unternehmen die Liquiditätsreserven des Unternehmens mit dem Risikoumfang zu vergleichen, obwohl heute Illiquidität – und nicht Überschuldung – die Hauptbedrohung darstellt. Die vom IDW PS 340 nun (wie auch schon im DIIR RS Nr.2,2018) geforderten Risikotragfähigkeitskonzepte fehlen bei 52% der befragten Unternehmen. Die Studienergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass der IDW PS 340 n.F. nun die Bedeutung der Risikoaggregation zur Identifikationmöglicher„bestandsgefährdender Entwicklungen“ aus Kombinationseffekten von Einzelrisiken deutlich betont. Aber genau hier hat der IDW PS 340 n.F. eine sehr problematische Unschärfe. Die Anforderung an die Risikoaggregation, die Betrachtung auch der Kombinationswirkungen von Einzelrisiken, wird zwar deutlich. Es wird aber nicht klargestellt, dass die Erfüllung dieser Anforderung aber eine Analyse einer großen repräsentativen Anzahl risikobedingt möglicher Zukunfts-szenarien fordert, typischerweise also eine Monte-Carlo-Simulation der Risiken mit Bezug auf die Unternehmensplanung (und damit die Risikotragfähigkeit). Die heute noch in der Praxis vorzufindenden „qualitativen Verfahren“ oder die „Addition von Schadenserwartungswerten von Risiken“ zur Bestimmung der Gesamtrisikoposition sind keine geeigneten Verfahren und helfen nicht, die gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Risikofrüherkennungssystem zu erfüllen. 

Zu hoffen bleibt, dass trotz der „Formulierungsunschärfe“ mit dem neuen IDW PS 340 n.F. die Abschlussprüfer nun (endlich) prüfen, ob das Risikofrüherkennungssystem eines Unternehmens tatsächlich „bestandsgefährdende Entwicklungen“, auch aus Kombinationseffekten von Risiken, erkennen kann. Dies geschieht offenbar bisher nicht, wie obige Studienergebnisse zeigen. Entsprechend der Anforderungen des DIIR RS Nr. 2 sollte die Methode der Risikoaggregation zukünftig ein zentrales Prüfungsfeld werden. Ohne eine simulationsbasierte Risikoaggregation ist eine Erfüllung der zentralen gesetzlichen Mindestanforderungen i.d.R. nicht möglich und die Monte-Carlo-Simulation ist damit eine Schlüsseltechnologie des Risikomanagements (siehe Angermüller et al., „Gemeinsame Stellungnahme zum IDW EPS 340“, 21.1.2020).

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen,

Prof. Dr. Werner Gleißner

Auszug der RMA-News im Controller Magazin September/Oktober 2020. Weitere Berichte der aktuellen RMA-News finden Sie hier: RMA-News im Controller Magazin September/Oktober 2020