RMC 2024: In Hamburg geht was – auch im Risikomanagementumfeld

Nachlese: Risk Management Congress (RMC) 2024/Tag eins


Der neue RMA-Vorstandsvorsitzende Michael Jahn-Kozma bei der Eröffnung des RMC 2024 in Hamburg. (Bildquelle: RMA/Matthias Kuhaupt)

Gestern (13. Mai 2024) startete der 18. Risk Management Congress (RMC) 2024 in Hamburg. Rund 170 Teilnehmende aus der Wirtschaft und Wissenschaft sowie dem öffentlichen Sektor gaben sich ein Stelldichein in der Freie und Hansestadt. Inhaltlich standen neueste Entwicklungen und praktische Anwendungen zu den Themen Risiko- und Krisenmanagement im Mittelpunkt. Eine Nachlese zum ersten RMC-Tag der RMA Risk Management & Rating Association e.V.

In Hamburg geht was. Nicht nur im Fußball, wie der Aufstieg des FC St. Pauli in die 1. Fußballbundesliga am Wochenende zeigt. Auch an anderer Stelle ist die Stadt erstligareif. Sei es in puncto der Besucherzahlen, bei denen Hamburg mit 7,4 Millionen Gästeankünften im Jahr 2023 auf Platz drei hinter Berlin und München rangiert. Bei der Digitalstrategie für Hamburg oder mit seinem „Tor zur Welt“, dem Hamburger Hafen – drittgrößter in Europa und Wirtschaftsmotor Norddeutschlands. Somit ist das selbst gewählte Leitbild Hamburgs durchaus passend, nämlich: „Wachsen mit Weitsicht.“ Ein Slogan, an dem sich so manches Unternehmen hierzulande orientieren könnte; ergänzt um die Planung. Nicht umsonst steht der Satz im Konjunktiv, sind wir doch aktuell bei einem Blick auf die bundesweite Wirtschaftsleistung weit entfernt vom viel beschworenen Wachstum in einer Zeit voller Krisen. Und die reichen von Kriegen und Handelsbeschränkungen bis zu Lieferengpässen sowie Energiefragen. Wen wundert es, wenn die exportabhängige deutsche Wirtschaft seit geraumer Zeit schwächelt. Das ifo-Institut schreibt in seiner „Konjunkturprognose Frühjahr 2024“: „Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt“ und folgert: „Die aktuell vorliegenden Frühindikatoren deuten für den Jahresbeginn 2024 auf keine konjunkturelle Trendwende hin. Die Auftragslage hat sich in allen Wirtschaftsbereichen bis zuletzt verschlechtert und der Auftragsbestand wird mehrheitlich als zu gering beurteilt.“ Das ZDF schreibt vom „Sorgenkind Deutschland“ und für den Nachrichtensender NTV ist „Deutschland Schlusslicht“ und wird zum wirtschaftlichen Problemfall innerhalb der Europäischen Union (EU).

Von der Risikoblindheit und nachhaltigen Unternehmen
In Summe zeigen diese Risikomeldungen: Gut beraten ist als Unternehmen, wer inmitten dieser globalen Krisen- und Risikoszenarien seine Hausaufgaben gemacht hat. Oder wie es Michael Jahn-Kozma, neuer Vorstandsvorsitzender der RMA, zur Eröffnung des RMC formuliert: „Es geht darum, Krisen in den richtigen Kontext zu setzen.“ Und er bringt es hinsichtlich des Risikomanagements auf den Punkt: „Das Risikomanagement ist dafür da, dass Unternehmen ihre Ziele erreichen.“ Apropos Zielerreichung. Prof. Werner Gleißner, Vorstand der FutreValue Group AG, referierte in diese Richtung mit seinem Vortrag zur Risikolage der Welt und den aktuellen Herausforderungen für das Risikomanagement.


Risikomanagementexperte Prof. Werner Gleißner bemängelt die Risikoblindheit in vielen Organisationen. (Bildquelle: RMA/Matthias Kuhaupt)

Mit Blick auf die vorherrschenden Krisen bestünde nach Gleißners Dafürhalten eine Situation emotionaler Bilder in der öffentlichen Risikowahrnehmung. Die fangen bei Naturkatastrophen an und hören beim generellen Klimawandel noch nicht auf. Mehr noch: „Leider“, so der Risikomanagementexperte, „beschäftigen wir uns nicht mit den konkreten Zahlen, sondern verdrängen Risiken.“ Gleißner fasst das Ganze als „Risikoblindheit“ und schlussfolgert: „Selbst wenn ich eine eindeutige Datenlage habe, dann fließt diese zu selten in die politische und wirtschaftliche Entscheidungsfindung ein.“ Für ihn bestehe dadurch eine komplette Verzerrung der Risiken. „Risikoanalysen sollten faktenbasiert erfolgen“, unterstreicht Gleißner. Es gehe für ihn darum, die richtigen Prioritäten zu setzen. Damit einhergeht, die Themen in valide Zahlen zu fassen, um zu einer vernünftigen Beurteilung der Gesamtrisikolage zu gelangen. Konkret umschreibt er das am Beispiel des Klimawandels. Gleißner: „Wir sollten uns nicht nur auf das Risiko des Klimawandels fokussieren, sondern auch andere Faktoren in die Gesamtsicht des Risikomanagements einbeziehen.“ Er nennt es eine falsche Prioritätensetzung und liefert den Grund: „Jeder spricht über den Wasserverbrauch oder den CO2-Ausstoß, aber kaum jemand spricht über das Thema Feinstaub.“ Einem vielfach unterschätzten Risiko mit rund sieben Millionen Todesfällen pro Jahr. Und doch würde das Thema Feinstaub in der öffentlichen Diskussion von Medien, der Politik und in Unternehmen kaum vorkommen.

Trotz der schlechten Nachrichten und Prognosen für die deutsche Wirtschaft mit hohen Schulden, Kriegen sowie geopolitischen Risiken, hat er auch Positives zu verkünden. „Wir haben die niedrigsten Lebensrisiken in der Historie“, so Gleißner. Demnach liege seiner Ansicht nach die Lebenserwartung bei aktuell 72 Jahren im globalen Maßstab. Als Gründe für die steigende Lebenserwartung nennt er die bessere Technologie und Gesundheitsversorgung, aber auch die höheren Einkommen.

Gleißner ergänzt in diesem Kontext: „Die Lebenserwartung wird weiter steigen.“ Abschließend referierte er zu den drei Ebenen einer nachhaltigen Unternehmensführung und kommt zu dem Schluss: „Nachhaltig sind Aktivitäten, wenn durch diese die Bedürfnisbefriedigung der in Zukunft liegenden Menschen nicht beeinträchtigt werden.“ Damit meint er: „Nachhaltige Unternehmen müssen einen Beitrag zur Befriedigung von Kundenbedürfnissen leisten, ihre eigene Existenz dauerhaft absichern und keine unangemessenen Schäden für Dritte verursachen“, resümiert Gleißner.

IKS und KI
Schäden spielen auch bei einem internen Kontrollsystem (IKS) eine entscheidende Rolle. Mit dem Aufbau eines IKS im Kontext eines Risikomanagements im Umbruch beschäftigte sich Eric Jakobi, Projektleiter bei der Herrenknecht AG. Das zentrale Thema des Managers: Der Weg des Anbieters von Tunnelbohrmaschinen und -systemen zu einem modernen IKS. Die zentrale Frage, die sich Jakobi in seiner täglichen Arbeit stellt, lautet: Wie können wir die Menschen unserer Organisation für das Thema IKS begeistern und motivieren? Eine entscheidende Antwort liegt in der Klarheit und der Transparenz. Damit meint er, dass unter anderem klare Ziele und eine transparente Kommunikation wichtig seien. Nach Jakobi zwei wesentliche Elemente bei der Neuausrichtung des IKS im Hause Herrenknecht. Denn bis dato herrschte ein dezentrales, nicht-formalisiertes IKS vor, ohne durchgängig definierte Aufbau- und Ablauforganisation. Hinzu kamen unter anderem rein lokale Vorgaben von Kontroll- und Dokumentationsanforderungen. Doch diese lokale Sicht auf die Dinge funktioniert nicht bei einem international ausgerichteten Unternehmen mit weit über 5000 Mitarbeitern an 70 Standorten und 6200 Projekten weltweit.


Eric Jakobi, Projektleiter, Herrenknecht AG, und das IKS. (Bildquelle: RMA/Matthias Kuhaupt)

Trotz der Unternehmensgröße und der internationalen Ausrichtung ist „der Aufbau eines IKS mit Augenmaß wichtig“, so Jakobi. Für ihn bedeutet das den „Goldenen Kreis“ mit den Fragen nach dem, was, wie und warum. So sei seiner Meinung nach ein Change Management in der eigenen Organisation unerlässlich, bei dem es darum gehe, eine möglichst hohe Bereitschaft zur Veränderung innerhalb der Mitarbeiterschaft zu erzielen. Hinzu kommt ein agiles Projektmanagement, das von der Konzeption und Planung über die Implementierung und Dokumentation bis zur Überwachung sowie Pflege des Systems reicht. Einen weiteren Schlüssel sieht Jakobi zudem im IKS-Reifegrad. Dieser befindet sich bei Herrenknecht aktuell auf einem Basisniveau.

Das Ziel sei seiner Meinung nach eine fortschrittliche Überwachung des kompletten IKS-Prozesses. Hierzu gehören beispielsweise laufende Aktualisierungen der Kontrollen, die Beseitigung von Kontrollschwächen und der Aufbau eines umfassenden Kontrollbewusstseins innerhalb des Unternehmens. Letztendlich gehe es nach Projektleiter Jakobi um die Faktoren der Robustheit, Reputation und den Fortbestand im Rahmen des gesamten IKS, um die Gesamtorganisation zu schützen.

Mit der künstlichen Intelligenz (KI) im quantitativen Risikomanagement beschäftigte sich der Vortrag von Dr. Daniel Oeltz (Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI). Der historische Abriss zur KI zeigt, dass das Ganze bis ins Jahr 1943 mit dem ersten neuronalen Netz zurückreicht. Heute sind wir bei ChatGPT, Gemini und MS Copilot angekommen. Der Weg ist vorgezeichnet und zeigt in Richtung Erfolg – auch wenn KI-Anwendungen mit einer gewissen Skepsis zu hinterfragen sind. Die Faktoren des Erfolgsfaktors KI umreißt Oeltz mit der steigenden Rechenleistung, als Basis von KI-Anwendungen, sowie in der Datenverfügbarkeit und Forschung. Auf die Frage der KI im quantitativen Risikomanagement sieht Oeltz unter anderem das Supervised Learning mit der Beschleunigung von klassischen Risikoberechnungen oder dem Credit Scoring als Antworten. Mit Blick auf die Herausforderungen im KI-Umfeld nennt der Fraunhofer-Wissenschaftler beispielsweise die Gesetzgebung – unter anderem hinsichtlich des EU-Vorstoßes zur künstlichen Intelligenz.


Dr. Daniel Oeltz (Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI) und der Erfolgsfaktor KI. (Bildquelle: RMA/Matthias Kuhaupt)

Von den Risiken und Chancen der Industrie 4.0 im Arbeitsumfeld
Dr. Roland Deinzer (Bundesagentur für Arbeit, kurz BA) zeichnete in seinen Ausführungen das Zukunftsbild der Arbeit 4.0 sowie deren Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt. Durch die Evolution von der Industrie 1.0 zur Industrie 4.0 in der Produktion werden zunehmend ganze Berufszweige infrage gestellt. Das heißt: Es droht der Wegfall vieler Jobs. Empirisch heißt das nach den Worten Deinzers: „38 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind von einem hohen Substituierbarkeitspotenzial betroffen.“ Zur Erklärung des  Substituierbarkeitspotenzials schreibt die BA: „Beim Substituierbarkeitspotenzial wird die Ersetzbarkeit von einzelnen Tätigkeiten im Rahmen eines Berufs, nicht der Berufe insgesamt, betrachtet.“


Dr. Roland Deinzer von der Bundesagentur für Arbeit und das Zukunftsbild der Arbeit 4.0.
(Bildquelle: RMA/Matthias Kuhaupt)


Dabei seien nach Deinzer vor allem Fertigungs- und fertigungstechnische Berufe am leichtesten substituierbar. Allerdings: Das technische Potenzial ist nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Substitution. Hierbei bestünden nach dem BA-Experten vor allem rechtliche Hürden, aber auch kulturelle Präferenzen und Vorbehalte sowie Rentabilitätshürden. Zudem schaffen technologische Entwicklungen auch neue Bedarfe und damit Berufsmöglichkeiten. Neben den Risikoaspekten sieht Deinzer auch Chancen durch die Arbeitswelt 4.0. Hierzu gehört unter anderem, dass intelligente Maschinen unangenehme Arbeit übernehmen können. Zudem könne nach seinen Worten die Digitalisierung die Fachkräfteengpässe mildern. Außerdem geht es auch um eine Innovations- und Gründungsdynamik bei kleinen und mittleren Unternehmen und letztendlich Chancen für Langzeitarbeitslose. Schlussendlich wirkte die Corona-Pandemie als Katalysator und Digitalisierungsschub für den Arbeitsmarkt sowie in den Unternehmen und beim Einzelnen.

Am Ende des Tages des ersten Konferenztages spielte das Zwischenmenschliche, sprich das Analoge, die entscheidende Rolle. Hintergrund war die persönliche Verabschiedung von Ralf Kimpel, der zehn Jahre die Geschicke als Vorstandsvorsitzender des Verbands für Risiko- und Krisenmanagement sowie Rating lenkte. Nach der Wahl von Michael Jahn-Kozma zum neuen RMA-Vorstandsvorsitzenden wird Kimpel zukünftig als Vorstand des Beirats der RMA fungieren. Damit bleibt er der RMA als Persönlichkeit sowie wichtiger Ratgeber im Risikomanagement- und Ratingumfeld erhalten. Applaus dafür. Applaus auch für einen ersten Konferenztag, der mit einer klaren Erkenntnis endet: In Hamburg geht was – auch im Risikomanagementumfeld und dank der RMA.

Hier geht es zur Nachlese des zweiten RMC-Tages