RMC 2023: Globalisierung unter Druck

Die Zeiten sind hart, aber modern. Das Zitat stammt angeblich aus Italien und umschreibt ziemlich gut unsere neue Epoche voller Krisen und Risiken.


Rund 160 Teilnehmer folgten der 17. Auflage des RMC 2023 nach Köln. (Bildquelle: RMA)

Doch dank moderner Risikomanagement-Methoden und fortschreitender digitaler Lösungen – verstärkt mithilfe der künstlichen Intelligenz (KI) – lassen sich Risiken zumindest minimieren. Wichtig dabei: Profunde Kenntnisse zum Risikomanagement in Theorie und Praxis sind die Grundvoraussetzung, um möglichst sicher durch die Unwägbarkeiten unserer Zeit zu gelangen. Anders formuliert könnte es heißen: Unternehmen brauchen Orientierung in Krisenzeiten, um sich Handlungsoptionen und damit Chancen für die Zukunft zu bewahren. Denn die Globalisierung steht unter Druck. Antworten bietet ein vorausschauendes Risikomanagement, vorgestellt im Rahmen des zweitägige Risk Management Congress (RMC). Eine Nachlese zu Tag eins.

Der RMC zählt zu einem der großen Branchentreffen rund um die Themen Risiko- und Krisenmanagement, Compliance, Governance und Rating im deutschsprachigen Raum. Die mittlerweile 17. Auflage stand ganz im Zeichen eines zukunftsgerichteten Risikomanagements. Nicht umsonst folgten rund 160 Teilnehmer dem RMC am 8. und 9. Mai 2023 nach Köln, durchgeführt von der RMA Risk Management & Rating Association e.V. (RMA). Das Motto: Nächste Ausfahrt Chancensicht.

Vom Gleichgewicht und dem Wirtschaftskrieg
„Köln ist ein Gefühl.“ So steht es auf den Seiten des Köln-Tourismus und meint die „weltoffene Metropole am Rhein“. Damit verbunden sind die Menschen der Stadt, die teils nach dem „Kölschen Grundgesetz“ leben: „Et kütt wie et kütt“, sprich: „Hab keine Angst vor der Zukunft“, wie es Köln.de formuliert. Damit ist sicher eine gewisse Lockerheit im Umgang mit den Unwägbarkeiten des täglichen Lebens verbunden und vor allem Zuversicht hinsichtlich des Kommenden. Diese positive Grundhaltung bezüglich der Zukunft sollte auch in Unternehmen vorherrschen – gerade in Krisenzeiten, wie den aktuellen.

Doch mit einer entspannteren Grundhaltung alleine ist es im unternehmerischen Umfeld nicht getan. Zu viele Risiken bestehen für Unternehmen in allen Branchen und Größen. Und so kommen zu geopolitischen Verwerfungen, Kriege, Inflations- und Energierisiken, aber auch Lieferengpässe oder Finanzrisiken. Die Liste ist nicht abschließend, zeigt aber die Bandbreite an Herausforderungen, vor denen Unternehmen heute stehen. Von daher braucht es neben einem geschärften Blick nach vorne vor allem Planung und Wissen im Umgang mit den Risiken unserer Zeit. Wie ein professionelles Risikomanagement in Theorie und Praxis aufgestellt sein kann, das zeigten Experten aus unterschiedlichen Branchen sowie der Wissenschaft im Rahmen Eröffnungstages des RMC 2023. Wichtig, geht es am Ende gerade darum, Risiken zu minimieren und Chancen zu finden.

Risiken minimieren heißt auch, sich darüber Gedanken zu machen, ob das jeweilige Mittel den Zweck heiligt. Das zeigt sich nicht zuletzt an den vielfältigen Konfliktlinien im internationalen Vergleich. Der Krieg in der Ukraine und damit einhergehend die Sanktionspolitik gegen Russland, ein schwelender politischer und wirtschaftlicher Konflikt mit China, aber auch die Handelshemmnisse mit den USA zeigen deutlich: Die Wirtschaft wird von vielen Staaten und Bündnissen als Waffe eingesetzt. In diesem Zuge ging Prof. Ulrich Blum in seinem Eröffnungsvortrag der Frage nach, ob ein umfassender Wirtschaftskrieg eine glaubhafte Drohung darstellt. Der Geschäftsführer von ITEL – Deutsches Lithiuminstitut GmbH hob damit auf das westliche Ordnungsmodell ab. Dieses steht nach Lesart Russlands, Chinas und weiterer Staaten teils zumindest zur Disposition.


Prof. Ulrich Blum ging in seiner Keynote der Frage nach, ob ein umfassender Wirtschaftskrieg eine glaubhafte Drohung darstellt. (Bildquelle: RMA)

Nach Blum seien der Antagonismus der Ordnungsmodelle und damit die Risiken zurück. Das beziehe sich seiner Meinung auf der Auseinandersetzung zwischen einer liberalen, regelgebundenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und der eines autoritären Staatskapitalismus. Blum: „Will der Westen diese Herausforderung annehmen, muss er sich wirtschaftlich rüsten, um eine glaubhafte Drohung aufzubauen.“

Für ihn sei es wichtig, dass ein Gleichgewicht entstünde, um den Vormarsch autoritären Ordnungsdenkens und -handelns einzudämmen. Darauf müssen Staaten und Unternehmen klare Antworten finden. Denn durch die ordnungspolitische Auseinandersetzung sei das globale Risikoniveau seiner Meinung nach über die Folgen der Pandemie und die damit verbundenen Lieferkettenprobleme hinaus bereits gestiegen. Dahinter steht auch die Frage: Ergreife ich rechtzeitig Maßnahmen, um meine Vormachtstellung zu erhalten? Blums Antwort: „Es braucht Abschreckung, nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch wirtschaftlich.“ So komme nach Blum dem Wirtschaftskrieg unter anderem die Aufgabe zu, die wirtschaftliche Dominanz zu erhalten oder zu erzielen. Oder anders formuliert: „Rivalität ist Wettbewerb und Wirtschaftskrieg“, erklärt Blum. Ein Faktor, der Unternehmen und Staaten gleichermaßen betrifft. Doch mit Blick auf dieses Szenario braucht es eine glaubhafte Drohung, um Dominanz zu erzielen. Wichtig gerade in einem hochdynamischen Umfeld mit offenen und versteckten Risiken – auch um resilienter zu werden. Daraus folgt unter anderem: „Viele Schwarze Schwäne waren ursprünglich weiße oder vielleicht auch nur graue Schwäne. Der Mangel an Vorstellungskraft hat sie geschwärzt“, so Blum. Und er fügt in diesem Kontext hinzu: „Wir müssen lernen, geostrategisch zu denken und zu agieren.“

Vom schonungslosen Blick und den Automatisierungsmöglichkeiten
Einen schonungslosen Blick auf die interne Berichterstattung bot Dominik Quirmbach, Group Risk Manager, CompuGroup Medical SE & Co. KGaA. Das weltweit tätige Softwareunternehmen offeriert Lösungen für das Medizinumfeld. Bis 2021 basierte der Risikomanagementprozess auf eine interne Datenbanklösung. Das Unternehmen stand vor der Frage: Wie geht es mit dem Risikomanagementsystem weiter? Ausmisten und Reduzieren, könnte eine Antwort lauten. Ein wichtiger Baustein, um dieses Ziel zu erreichen, bildet der neue Risk-Assessment-Prozess durch alle Risk Owner. In diesem Zuge wurden veraltete Daten bereinigt. Der Vorteil: Es erfolgte nach Quirmbachs Worten eine Reduzierung auf die wesentlichen Risiken, sprich 20 Prozent. Wichtig in der neuen Risikomanagementwelt des Unternehmens ist unter anderem ein geführter Prozess durch das Risikomanagement bei der Anlage neuer Risiken. Dank der einfachen Oberfläche sind die Risk Owner in der Lage, selbständig Risiken zu erfassen. Außerdem sei die Schulungszeit nach Risikomanager Quirmbach relativ kurz.

Das quartalsweise Reporting wurde grundlegend geändert, weg von der Bürokratie mit viel Text, hin zu einer überschaubaren Berichterstattung. So findet die Aggregation der Risikosituation auf einer Seite Platz, das heißt übersichtlich. Gleichzeitig sind die Top15-Risiken ausführlich dargestellt. Dahinter steht die Idee der Konzentration auf das Wesentliche im gesamten Risikomanagementprozess. Im Umkehrschluss heißt das: Die Gesamtrisikosituation liegt vor. Ein positives Fazit zur neuen Lösung zieht Quirmbach in der steigenden Akzeptanz bei den Risk Ownern als auch dem Management. Also ein wesentlicher Punkt, damit Risikomanagement in der eigenen Organisation auch gelebt wird. Und doch sei der Arbeitsaufwand im Risikomanagementprozess seiner Meinung nach nun nicht geringer, sondern habe sich nur verschoben. Quirmbach resümiert es als den „administrativen Aufwand“.

Wichtig bei allen Risikomanagementprozessen sind heutzutage die Automatisierungsmöglichkeiten. Hierzu und zum Prozess des Information Risk Managements referierte Tobias Schöffel (Bereichsleiter Markt, Schleupen SE). Grundlegend lassen sich unter anderem bestehende Elemente (beispielsweise Assets) automatisch in die Lösung des Softwareunternehmens Schleupen importieren und exportieren. Hinzu kommen automatische Risikoanlagen über Gefährdungskatalogen, automatische Feldbefüllungen mithilfe von Fragebögen sowie die Übermittlung von IT-Risiken in ein übergreifendes GRC(Governance, Risk, Compliance)-System. Als wesentliche Vorteile mit Blick auf die eigene Lösung nennt Schöffel reduzierte Aufwände durch Automatismen bei Routinetätigkeiten, inklusive des Vermeidens von Doppeltätigkeiten, aber auch eine Minimierung falscher Risikoeinschätzungen. Allerdings sieht der Schleupen-Manager die Vorbereitungsdauer und den Aufwand für die Automatismen als einen Nachteil. Davon abgesehen zeigte sich am Ende des Vortrags im Rahmen einer kleinen digitalen Umfrage unter den Teilnehmern, dass Bedarf an Automatisierungsmöglichkeiten im gesamten Risikomanagementprozess besteht. Und dieser Bedarf wird wohl zukünftig noch zunehmen.

Smarte Fabrik, geopolitische Risiken und das Russland-Embargo
Apropos Zukunft. Diese wird zunehmend von einer viel stärkeren digitalen und zugleich automatisierten Wertschöpfung mit Blick auf die Fabrik der Zukunft geprägt. Zu dieser Erkenntnis kommt Prof. Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Magdeburg. Vor diesem Hintergrund stand ihr Vortrag unter dem Titel: „Risiko-Management für die Smarte Fabrik.“ Dass intelligente Lösungen in der Fabrik der Zukunft immer weiter um sich greifen, das zeigt sich bei den vielfältigen Lösungen im Einsatz. Die fangen bei Softwarelösungen und der Sensorik an und hören bei Mobile Devices und der Mensch-Maschine-Interaktion noch nicht auf. Arlinghaus stellt zu Beginn ihrer Ausführungen die Frage ins Zentrum: „Warum werden die Potenziale durch die Industrie 4.0 bis dato nicht genutzt?“ Eine Antwort: Es fehlt am Risikomanagement. Dabei wäre genau das wichtig, denn mit neuen Lösungen gehen Risiken einher. Hintergrund ist, dass die technische Entwicklung nicht ruht. Ganz im Gegenteil: Neue Lösungen schreiten voran, seien es die KI oder Robotertechnik. „KI-Systeme entwickeln neue Produkte und Produktvarianten auf der Grundlage erfolgversprechender Gestaltungsrichtlinien“, so Arlinghaus. Laut ihrer Aussagen ließe sich mit smarten Lösungen die Produktivität um bis zu 45 Prozent steigern. Doch manchmal steckt der Fehler im Detail. So scheitert schon mal ein automatisiertes Lieferprojekt in einer Fabrik an einer Treppenstufe, die das Fahrzeug vor Ort ausbremst. In Summe sind es menschliche Fehler, aber auch technische und organisatorische Fehler, die Vorhaben zum Scheitern bringen. Grundsätzlich fehle es laut Arlinghaus an einem systematischen Managen von Risiken.


Prof. Julia Arlinghaus vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung sieht die Fabrik der Zukunft smart. (Bildquelle: RMA)

So sind beispielsweise Digitalisierungsrisiken bekannt, werden aber oft als nicht relevant für Industrie 4.0-Projekte eingestuft. Oder bestehende Schutzmaßnahmen werden nicht an die neuen Rahmenbedingungen angepasst. Ein großes Thema ist in diesem Kontext die Gefahr von Cyberangriffen. Hinzu kommen Bedenken, beispielsweise gegenüber Cloud-Lösungen. Um die Potenziale der Industrie 4.0 zu erschließen, müssen Grundlagen geschaffen werden. Zuvorderst heißt das nach Arlinghaus: „Erst mit der Menschzentrierung können die großen Potenziale erschlossen werden.“ Hinzu kommt, dass sich Unternehmen mehr mit den Risiken beschäftigen müssen. Und Arlinghaus resümiert: „Hierzu muss das Management stärker eingebunden werden, denn der Moment zur Digitalisierung ist jetzt.“

Das Management von Unternehmen ist mit Blick auf die globalen Risiken verstärkt gefragt, gerade weil die Wirtschaftswelt zunehmend aus den Fugen gerät. Ulrich Ackermann, Leiter Außenwirtschaftsabteilung, VDMA, sieht die Globalisierung unter Druck. Die Gründe dafür verortete Ackermann in seinem Vortrag zu den geopolitischen Risiken im Maschinenbau unter anderem durch Handelshemmnisse sowie den Brexit. Hinzu komme seiner Ansicht nach eine dauerhafte Krise der Welthandelsorganisation (WTO). Nicht zu vergessen die Konflikte mit China und Russland. Daran lässt sich deutlich ablesen, dass die globale Geschäfts- und Handelswelt viele Fallstricke bereithält. Diese gilt es vorausschauend zu umgehen.


Ulrich Ackermann, Leiter Außenwirtschaftsabteilung, VDMA, sieht die Globalisierung unter Druck. (Bildquelle: RMA)

Doch nicht alle Unternehmen sind an dieser Stelle mit einem vorausschauenden Risikomanagement gut aufgestellt. Das zeigt sich beispielhaft am aktuellen Russland-Embargo. Dirk Hagemann, Rechtsanwalt für Außenhandel, Trade Compliance Consultant und zertifizierter SAP-Berater, bringt es hierzu auf den klaren Punkt: „Es herrscht Krieg.“ Vor diesem Hintergrund greift die Aussage von Unternehmern nicht, etwas sei in den Geschäftsbeziehungen mit Russland unerwartet gekommen. „Gerichte kennen im Außenhandel das Wort unerwartet nicht“, unterstreicht Rechtsanwalt Hagemann. Das heißt, es besteht seit 2014 ein Embargo gegen Russland (VO 833/2014). Wer als Unternehmen vorsätzlich dagegen verstößt, riskiert hohe Geldstrafen oder sogar Haft. „Wo ich ein Embargo mit krimineller Energie umgehe, werde ich auf die gleiche Stufe mit Terroristen gestellt“, warnt Hagemann. Und das ist im Russlandgeschäft gegeben, denn es besteht eines der schärfsten Embargos gegenüber einem Land. Die Verbotsliste im Zusammenhang mit dem Russland-Embargo sind lang und reichen von der Ein- und Ausfuhr über den Verkauf bis zu Investitionen und Dienstleistungen.


Dirk Hagemann, Rechtsanwalt für Außenhandel, warnt vor Geschäften mit Russland aufgrund des Embargos. (Bildquelle: RMA)

Seiner Meinung nach bestünde im Außenhandelsgeschäft oft zu wenig eine strategische Komponente, wie man sich beispielsweise von einem Auslandsgeschäft trennen könne. Und er fügt an: „Das Thema muss auf Managementebene gelöst werden.“ Im Umkehrschluss heißt das, es herrschen noch zu oft Schnellschüsse vor, statt planerisch mit dem jeweiligen Compliance-Risiko umzugehen. Wichtig dabei seien nach Hagemanns Worten die Menschen in einer Organisation. Die müssen miteinander reden, um die Herausforderungen im Außenhandelsgeschäft zu lösen – flankiert von klaren Compliance-Maßnahmen. Das nennt sich Vorbereitung und weniger Risikobuchhaltung. Denn die Zeiten sind hart, aber modern. Von daher gilt es, die Möglichkeiten eines modernen Risikomanagements zu nutzen und weniger „Et kütt wie et kütt“ im Unternehmensalltag walten zu lassen. Davon zeugten weitere Vorträge, sei es zur Evolution des Risikomanagementsystems bei der Deutschen Telekom, zur integrierten Governance Berichterstattung oder zum Thema: „Das neue Risiko. Geld allein wird nicht reichen.“ Nicht zu vergessen ein Vortrag zu den Auswirkungen der ESG(Environmental, Social and Governance)-Faktoren auf ein ratingorientiertes Controlling. Und damit sind wir am Ende der Nachlese zum ersten Tag des RMC 2023 angelangt, wollen aber an dieser Stelle den Nachwuchs nicht vergessen. Im Rahmen der RMC-Veranstaltung wurden zwei wissenschaftliche Arbeiten mit dem „RMA Thesis Award“ ausgezeichnet.


Prof. Christoph Mayer, Vorstandsmitglied der RMA, die Preisträger Magdalena Lorenz und David Gißler sowie Prof. Ulrich Bantleon von der Hochschule Offenburg (von links). (Bildquelle: RMA)

Zum einen die Bachelorarbeit von Magdalena Lorenz zur „Bewertung und Vergleich KI-basierter Früherkennungssysteme als Element des unternehmerischen Risikomanagements“. Zum anderen David Gißler für seine Masterarbeit rund um die „Entwicklung eines Konzepts zur strategischen Frühaufklärung“. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle. Fortsetzung folgt ...