Risk Management Congress 2016 - Nachlese

11. Jahreskonferenz der Risikomanager: Von lokalen und globalen Maßstäben in Zeiten des Umbruchs

Von lokalen und globalen Maßstäben in Zeiten des Umbruchs

Über 65 Millionen Flüchtlinge weltweit, 14 Milliarden US-Dollar Strafe für die Deutsche Bank, rund sechs Milliarden US-Dollar Schaden durch eine Explosion im chinesischen Hafen Tianjin. Gewaltige Zahlen, die die Folgekosten und zusätzlichen Schäden noch nicht beinhalten. Und doch lässt sich an den genannten Beispielen erahnen, dass die Zahlen, Strafen und Verluste nicht die endgültigen Risiken für Staaten und Unternehmen bedeuten. Zeit, die Abhängigkeiten in unserer modernen sowie eng vernetzen Welt mit ihren Risiken aufzuzeigen. Zeit, für eine Rückschau auf den Risk Management Congress 2016. Der öffnete am 19. und 20. September in Stuttgart seine Türen. Eine Erkenntnis für die rund 180 Teilnehmer: Das Risikomanagement ist teils auf einem guten Weg. Aber nur teils, denn es gibt auch erheblichen Nachholbedarf beim Umgang mit Risiken und Chancen in Organisationen jeder Größe und in allen Branchen. Ein Blick auf das große Ganze zu den Themen Governance, Risk und Compliance.

Risk Management Congress 2016

Rund 180 Teilnehmer folgten dem 11. Risk Management Congress im September nach Stuttgart. Bildquelle: RMA

 

Risikomanagement als Fundament

Ein Elfenbeinturm ist nach Definition des Duden unter anderem die „selbst gewählte Isolation des (…) Wissenschaftlers (…) der in seiner eigenen Welt lebt“. Nur wird die Disziplin des Risikomanagements gerne in die Nähe der staubtrockenen Theorie gerückt, die wenig Spielraum für Praxis und die reale Arbeitswelt lässt. Dies zu durchbrechen ist eine Aufgabe der RMA, die sich mit ihrer Verbandsarbeit den Herausforderungen in der Praxis stellt. Und diese sind vielfältig in einer schnelllebigen, digitalen und vernetzen Welt, wie das Treffen der Risikomanager in Stuttgart eindrucksvoll verdeutlichte. Ein Tenor lautet: „Risikomanagement ist das Fundament für gute Entscheidungen.“ Auf diesen Nenner brachte es unter anderem Geva Johänntgen, Risikomanagerin bei der Lufthansa Technik, im Rahmen ihres Vortrags. Mehr noch könne ein gutes Risikomanagement Komplexität begreifbar machen. Johänntgen ging auf das Risikomanagement bei der Lufthansa Technik ein und beschrieb den gewählten Ansatz mit dem Erhalt und der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Ziel war es, einen strategischen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Hierzu integrierte das Unternehmen einen klassischen Risikomanagementkreislauf in das Angebots- als auch das Vertragsmanagement. Am Beispiel der Bandbreitendarstellung erklärte die Risikomanagerin, wie mithilfe von Risikosimulationen Einzelrisiken mit komplexen Zusammenhängen aggregiert werden und Aussagen über das Gesamtrisiko sowie zu wesentlichen Risiken ermöglichen. Wichtig, um mithilfe von „Was-wäre-wenn-Analysen“ Handlungsspielraum zu erhalten sowie Risiken und Chancen zu erkennen.

Für Risikomanagerin Johänntgen steht unter anderem der strategische Wettbewerbsvorteil im Fokus. Bildquelle: RMA

 

Vielfältige Anforderungen an Risikomanager

Organisationen stehen heute vor komplexen Anforderungen im Risikomanagement, lokal und international. Prof. Dr. Josef Wieland von der Zeppelin Universität berichtete in seinem Vortrag zu „Risikomanagement und Good Global Corporate Governance“ von Wegen hin zu einer guten Unternehmensführung in Zeiten des globalen Wettbewerbs. Nach den Worten Wielands sind die Zeiten des International Trade vorbei, sprich beispielsweise in Deutschland produzieren und weltweit verkaufen. Denn Globalisierung heißt global agieren, kooperieren und vor allem verantwortlich zu sein. Das dahinter liegende Schlagwort ist Corporate Social Responsibility (CSR). Nach Definition der Europäischen Kommission verstanden als „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft”. Als Beispiel nannte Wieland den „Berliner CSR-Konsens zur Unternehmensverantwortung in Wertschöpfungs- und Lieferketten“. Dahinter steht die Idee „ein gemeinsames Dokument im Rahmen des CSR-Forums der Bundesregierung zu entwickeln, das privaten und öffentlichen Unternehmen als Leitfaden mehr Orientierung und Sicherheit für die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung beim Management ihrer globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten gibt“. Als die zehn Führungsprinzipien einer gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung benannte Wieland die Faktoren Integrität, Kooperation, Shared Value und Nachhaltigkeit sowie Risikoorientierung, Effektivität, Transparenz, Wirkung, Kommunikation und Kontrolle.

Im globalen Maßstab bewegte sich auch Markus Schädeli mit seinem Vortrag zum „Enterprise Risk Management im internationalen Umfeld“. Der ehemalige Risikomanager von Nestlé beschrieb in seinen Ausführungen unterschiedliche Länderrisiken am Beispiel einzelner Staaten in Asien, Afrika und Europa.

Indonesien plage sich mit den Themen Korruption und Naturgefahren. Just nach Schädelis Ausführungen kam es Ende September in Indonesien zu schweren Unwettern mit Überschwemmungen und zahlreichen Toten.

Zudem weist das Land eine Besonderheit auf, die selbst den gestandenen und viel gereisten Manager überraschte. So sei in Indonesien ISO 31000 vom Staat als bindender Standard für alle Unternehmen vorgeschrieben. Im Irak wiederum überwiegen durch Krieg und Terror Politik- und Sicherheitsrisiken, die mit einer tiefen Rezession einhergehen. So seien Bauvorhaben und Infrastrukturprojekte aufgrund des IS-Terrors gestoppt. Schädeli: „Die gesamte Wirtschaft, die gesamte Bautätigkeit ist von 150 Prozent auf null gesenkt.“ Eine Einschätzung, die sich mit den Informationen des Auswärtigen Amts zur Lage im Irak deckt: „Die schwierige politische und wirtschaftliche Lage hat auch Auswirkungen auf Investitionen in die Infrastruktur des Landes (…) Die Umsetzung vieler Projekte verläuft jedoch nur schleppend bzw. wurde ganz eingestellt.“ Bei einem Blick nach Afrika zeigt sich unter anderem eine „gelenkte Marktwirtschaft“ in Algerien. Zudem kämpft der Maghreb-Staat mit Sicherheitsrisiken – vor allem aufgrund von Terroranschlägen und Entführungen. Ein anderes Bild zeichnet sich dagegen in Südafrika ab. Das Land am Kap muss auch über 25 Jahre nach Abschaffung der Apartheid mit immensen Ungleichheiten innerhalb der Bevölkerung kämpfen. Hinzu kommen Ausbildungsprobleme sowie die allgegenwärtige Kriminalität und Korruption. Und auch Europa ist nicht frei von Risiken, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Dort stünden nach Schädelis Einschätzungen innenpolitische Unsicherheiten, Arbeitslosigkeit, Streik und ein minimales Wachstum im Brennpunkt. Dagegen kämpfe Deutschland unter anderem mit den Themen Migration und Währung. Der Risikomanagementexperte rät Unternehmen aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Kontinenten und in einzelnen Ländern, Risiken entsprechend zu identifizieren und zu bewerten. Sein Credo: „Lokale und globale Bewertung“. Zudem ist es wichtig, Risiken regelmäßig neu zu bewerten, denn die Wahrnehmung und Priorisierung von Risiken verändere sich über die Jahre. Für Organisationen bedeutet Risikomanagement heute einen signifikanten Mehraufwand mit einer umfangreichen internen sowie externen Berichterstattung. Hinzu kommt im Zeitalter sozialer Medien der Zwang zu einer kompetenten und zeitnahen Kommunikation. Werden diese unterschiedlichen Faktoren von Unternehmen nicht richtig umgesetzt, droht ein immenser Imageschaden.

Markus Schädeli rät lokale und globale Bewertungen zu berücksichtigen. Bildquelle: RMA

 

Von der Logistik und der Resilienz

Vor Imageschäden und finanziellen Risiken müssen sich auch Logistikunternehmen schützen. Und das ist kein leichtes Unterfangen wie Michael Siebrandt von der Deutschen Post DHL verdeutlichte. Gerade vor dem Hintergrund globaler Wertschöpfungsketten mit einer vielgliedrigen Struktur – vom Rohstoffabbau in Afrika über die Vorproduktion in Asien sowie dem weltweiten Handel des Endprodukts bis zur Entsorgung – im globalen Maßstab. Für Logistiker bedeutet das eine enorme Komplexität in einer Welt voller Risiken. Und diese Welt ist der Markt. Wie feingliederig Wertschöpfungsketten sind, zeigte Insurance & Risk Manager Siebrandt unter anderem an der aktuellen Insolvenz der Reederei Hanjin auf. Die Schiffe der Reederei können keine Häfen anlaufen und damit kann die Ware nicht gelöscht werden. Ein immenses Risiko für Logistikunternehmen sowie produzierende Unternehmen. Erschwerend kommen seiner Meinung nach sogenannte „Outsourcing-Besonderheiten“ im Logistikumfeld hinzu. Und das führt zum „Transfer von Risiken vom Auftraggeber an den Logistikdienstleister“. Als Beispiele nannte der Logistikexperte die Beschädigung oder der Verlust von Waren, Inventurdifferenzen oder Gebäudeschäden. Um Klarheit im gesamten Logistikprozess zu erhalten, ist ein eindeutiges Versicherungskonzept vonnöten. Mehr noch braucht es beim Supply Chain Management und der Logistik die Komponente Risikomanagement. Nur in diesem Zusammenspiel können Logistiker ihre Risiken erkennen und die Chancen in einem hochkomplexen Umfeld meistern. Im Grunde müssen Logistiker ihre Widerstandsfähigkeit ausbauen, um den zunehmenden Risiken im Fall der Fälle gewachsen zu sein. Zu viele Störfaktoren beeinflussen weltweit das Geschäft mit dem Transport von Waren: von Streiks über Naturkatastrophen bis zu Kriegen, Terror und Piraterie. Und nicht nur in der Logistikbranche, wie der aktuelle VW-Fall und der Streit mit einem Zulieferer eindrucksvoll verdeutlicht. Beim Autobauer VW standen aufgrund der juristischen Auseinandersetzung die Bänder still. Die Kosten liefen weiter und der Reputationsschaden war den beteiligten Firmen gewiss.

 

Welche Folgen Ausfälle, Krisen und Katastrophen haben können, zeigte Michael Siebrandt von der Deutschen Post DHL auf. Bildquelle: RMA 

 

Aus Wissenschaft, Forschung und den Arbeitskreisen

Apropos Wettbewerbsfähigkeit. Um diese zu wahren, braucht es Wissensträger, sprich Mitarbeiter, Experten sowie Fach- und Führungskräfte in der eigenen Organisation. Diese zu finden ist für Unternehmen in einem Wettbewerbsmarkt kein leichtes Unterfangen. In ihrem Vortrag zum „Management von Personalrisiken“ gingen Prof. Dr. Roland Erben und Prof. Dr. Patrick Müller von der Hochschule für Technik in Stuttgart auf die „Identifikation von Risiken im Employee-Life-Cycle“ ein. Nach ihrer Ansicht adressieren Unternehmen hauptsächlich „offene“ Personalrisiken, während „verdeckte“ Personalrisiken vernachlässigt werden. Die Gründe, warum Unternehmen meist offene Risiken adressieren, liegen unter anderem in allgemeinen Problemen von Befragungen sowie wenig guten Wirkmodellen im Bereich Human Ressource oder wenig aussagekräftigen Kennzahlen. Ein Fazit lautet daher: Gute Personalrisikomanagement-Modelle müssen empirisch fundiert werden und benötigen eine kontinuierliche Evaluation.

Setzte sich mit dem Thema der Risiken im Employee-Life-Cycle auseinander: Prof. Dr. Roland Erben von der Hochschule für Technik in Stuttgart. Bildquelle: RMA

 

Mit einem Vortrag zu „ERM-Reifegrad-Analyse“ befasste sich Prof. Dr. Walter Schwaiger von der TU Wien. Im Fokus: Die Entwicklung eines „intelligenten“ Fragebogens zur ERM-Reifegrad-Untersuchung im österreichischen Mittelstand. Und auch die RMA-Arbeitskreise zogen eine Bilanz ihrer bisherigen Arbeit. Exemplarisch stellten die Arbeitskreise „Risikomanagement und Controlling“ sowie „Risikoquantifizierung“ die Ergebnisse aus den Tätigkeiten in den Arbeitskreisgruppen vor. Neben der „Beziehung von Risiko und Planung vermittelten die Arbeitskreisleiter unter anderem die „risikoadjustierte Planung als Bindeglied“ von Risikomanagement und Controlling – inklusive der Prozessumsetzung. Ein Beispiel zur praktischen Umsetzung der Risikoquantifizierung im Rahmen des Risikomanagementprozesses bei einem Energieversorger rundete die Vorstellung ab.

Ralf Kimpel sieht die RMA im Allgemeinen und den Risk Management Congress im Speziellen auf einem guten Weg. Bildquelle: RMA

 

Am Ende dankte RMA-Vorstand Ralf Kimpel den Sponsoren, ohne die eine solche Veranstaltung nicht zu stemmen sei. Hierzu zählten in diesem Jahr avedos, Calpana, KPMG, PWC und Schleupen sowie antares, Donau-Universität Krems, Opture, Ventiv Technology und WS InnoCon. Nicht zu vergessen die Referenten sowie die RMA-Arbeitskreise mit ihren Verantwortlichen, die den Risk Management Congress inhaltlich bereicherten und neue Erkenntnisse aus der Risikomanagementwelt und den Arbeitskreisen aufzeigten. Und auch hinter den Kulissen tat sich einiges, um eine solche Veranstaltung zum Erfolg zu führen. Allen voran dank der Organisation von Dominik Ritter, Isabel Kimpel und Hans Kaiser. Aus all diesen Facetten wird ein großes Ganzes: der Risk Management Congress. Und der öffnet am 16. und 17. Oktober 2017 mit der 12. Auflage wieder seine Türen. Vielleicht mit neuen Risikoschwerpunkten in unserer schnelllebigen Welt voller Risiken, die es zu beherrschen gilt. Oder wie es ein Teilnehmer formulierte: „Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Risiken messbar werden.“