Risk Management Congress 2019 – Nachbericht (Tag eins)

Eine Nachlese zum ersten Tag der DACH-weiten Jahreskonferenz der Risikomanager – dem 14. Risk Management Congress.

„Es ist Zeit für Berlin!“, so schreibt es die Berliner Tourismus & Kongress GmbH auf den eigenen Seiten. Die Aussage lässt sich als Aufforderung an die Menschen aus aller Welt interpretieren, endlich die Hauptstadt zu besuchen. Das Ausrufezeichen könnte gleichzeitig hinter dem politischen und wirtschaftlichen Tun der Stadt stehen. Denn in Berlin schlägt das politische Herz der Republik, inmitten Europas. Und auch wirtschaftlich boomt die Metropole an der Spree mit internationalen Firmenrepräsentanzen, Startup-Unternehmen und Verbänden. Letztere nutzen die Bundeshauptstadt, um über ihre jeweilige Arbeit als Interessenvertretung zu berichten und sich zu Fachthemen auszutauschen. So auch am 21. und 22. Oktober 2019, anlässlich der DACH-weiten Jahreskonferenz der Risikomanager – dem 14. Risk Management Congress.

Auf Einladung der Risk Management Association e. V. (RMA) geht es an beiden Tagen traditionell um mögliche Leitplanken eines erfolgreichen Chancen- und Risikomanagements von heute und morgen. Ein Nachbericht des ersten Veranstaltungstages liefert Ein- und Ausblicke zur europäischen Finanzpolitik, gibt Einschätzungen zu Cyberrisiken und Antworten auf die Frage: Wie riskant ist die Welt?

Finanzpolitik oder Finanzcrash?

„Es ist ein historischer Tag für die RMA, denn wir haben heute im Rahmen der Mitgliederversammlung die Verschmelzung mit dem Bundesverband der Ratinganalysten, kurz BdRA, beschlossen.“ Mit diesem positiven Ausblick eröffnete Ralf Kimpel, Vorstandsvorsitzender der gastgebenden RMA, die 14. Auflage des Risk Management Congress 2019.

Ralf Kimpel, Vorstandsvorsitzender der RMA, im Rahmen der Eröffnung.

Ralf Kimpel, Vorstandsvorsitzender der RMA, im Rahmen der Eröffnung. (Bildquelle: RMA)

Bereits zu Beginn der Veranstaltung stand mit Dr. Jörg Kukies ein Interessenvertreter des politischen Berlins im Mittelpunkt. Kukies, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, beschrieb in seiner Keynote die Weiterentwicklung der Währungsunion und des europäischen Finanzmarkts. Der ehemalige Co-Vorsitzende des Vorstands bei Goldman Sachs AG kann auf eine lange Erfahrung als Finanzexperte zurückschauen. Diese hilft ihm nunmehr bei der Einschätzung finanzpolitischer Entscheidungen im europäischen Kontext.

Und die fällt seiner Meinung nach nicht immer positiv aus: „Konkret geht es um die Frage, welches haftungsfähige Kapital eine Bank vorhalten muss. Gerade Großbanken müssen hier noch stärker in die Pflicht genommen werden. Die Steuerzahler müssen so gut wie möglich geschützt werden“ antwortete Kukies im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Tagesspiegel auf die Frage: „Wären wir gegen eine Krise heute besser gewappnet?“

Mit Blick auf die aktuelle Finanzmarktsituation zeichnete der Staatssekretär im Rahmen der RMA-Konferenz trotz aller pessimistischen Warnsignale in der Außenwahrnehmung ein positives Bild. „Der europäische Gedanke wird nochmals dadurch gestärkt, dass wir versuchen ein fiskalpolitisches Instrument zu etablieren“, so Kukies. Darüber hinaus hat die Bankenunion ein ganz klares Ziel: Es muss zu einem einheitlichen Markt für Finanzdienstleistungen kommen. Denn unterschiedliche Regeln innerhalb Europas verwässern bis dato dieses Vorhaben. Es braucht hierzu eine grenzüberschreitende Regulierung und Harmonisierung – gerade auch hinsichtlich der großen Märkte, wie dem der USA und von China.

Staatssekretär Dr. Jörg Kukies und die Weiterentwicklung der Währungsunion und des europäischen Finanzmarkts.

Staatssekretär Dr. Jörg Kukies und die Weiterentwicklung der Währungsunion und des europäischen Finanzmarkts. (Bildquelle: RMA)

Handlungsbedarf sieht Staatssekretär Kukies auch bei digitalen Währungen. Kukies: „Wir können nicht einfach eine Verlagerung auf Unternehmen, wie Facebook, hinnehmen.“ Seiner Meinung nach bestehe das Risiko, dass beispielsweise mit der Internetwährung „Libra“ und dem federführenden Unternehmenskonsortium eine enorme Marktmacht entstehen könne. „Hier müssen wir das Wettbewerbsrecht beachten“, so Kukies.

Überhaupt gilt es die Plattformökonomie und die damit zusammenhängenden Sonderfragen zu klären. So sei es die Aufgabe der Bundesregierung in diesem Umfeld für Reformen zu sorgen. Ein positives Bild zeichnete Kukies im Hinblick auf die gemeinsame Währung der EU. Diese sieht er massiv an Bedeutung gewinnen. 85 Prozent der Europäer nutzen nach dem möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU den Euro. Zudem stehen mit Bulgarien und Kroatien neue Kandidaten vor der Tür, die die europäische Währung einführen wollen.

Von Cyberrisiken in einer riskanten Welt

Jedes zweite Unternehmen war in den vergangenen zwei Jahren Ziel einer Sabotage, eines Spionagevorfalls oder wurde Opfer von Datendiebstahl. Die Fakten: 68 Prozent der Industrieunternehmen waren in den letzten zwei Jahren von Cyberangriffen betroffen. Gleichzeitig ist die Zahl bekannter Schadprogrammvarianten 2017 weiter gestiegen und lag 2018 bei mehr als 800 Millionen. Zudem liegt die durchschnittliche Dauer bis ein Cyberangriff entdeckt wird bei 197 Tagen. Erschreckende Fakten, die Volker Wagner, Bundesverband Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. (ASW) und VP Security BASF Group, in seinen Ausführungen zu: „Cyberrisiken und Cyberabwehr in der deutschen Wirtschaft“ den rund 180 Teilnehmern vermittelte. Den Gesamtschaden beziffert Wagner auf rund 43 Milliarden Euro für die deutsche Industrie in den letzten beiden Jahren.

Volker Wagner zu Cyberrisiken und Cyberabwehr in der deutschen Wirtschaft.

Volker Wagner zu Cyberrisiken und Cyberabwehr in der deutschen Wirtschaft. (Bildquelle: RMA)

Bei Spionage, Sabotage und Datendiebstahl seien nach Wagners Ansicht die Chemie- und Pharmabranche am stärksten betroffen. Danach folgen die Bereiche Automobil sowie der Maschinen- und Anlagebau. Bei den häufigsten Angriffsformen dominiert der Diebstahl von IT, gefolgt von digitalen und analogen Diebstählen, sowie digitaler Sabotage. Im internationalen Kontext sieht Wagner vier Megatrends – den Staatszerfall, den klimatischen und ökologischen Verwerfungen, dem Bereich der Digitalisierung und Vernetzung sowie der asymmetrischen Bedrohung und hybriden Kriegsführung.

Diese globalen Megatrends bedrohen auch heimische Unternehmen am Standort Deutschland. „Denn alles ist miteinander verbunden“, so Wagner. Sei es, dass beispielsweise immer weniger Menschen ihren Lebensunterhalt aus legaler Arbeit decken können und sich unter anderem dem Terror zuwenden. Sei es, weil sich Staaten und Unternehmen einem härteren und zugleich globalen Wettbewerb ausgesetzt sehen und immer komplexere Cyberangriffe weltweit stattfinden. Gerade vor dem Hintergrund eines rasant fortschreitenden technologischen Fortschritts sind immer mehr Systeme miteinander vernetzt und ans Internet angeschlossen. Und das bietet zunehmend Angriffsflächen für Kriminelle, Terroristen und fremde Staaten. Im Umkehrschluss gilt es sich diesen Gefahren in ihrer Gesamtheit bewusst zu werden und sich entsprechend aufzustellen.

Nach Ansicht Wagners ist ein deutlicher Anstieg der Schadprogramme zu erkennen. Damit einhergehen eine Vielzahl an Viren, Trojanern & Co. Ein Großteil der Unternehmen setzt diesen Cybergefahren verstärkt Netzwerkabsicherungen und Antiviren-Software entgegen. Dabei sind technische Absicherungen gegen Cyberangriffe die häufigsten Maßnahmen. Dennoch sei nach Wagners Worten ein nicht unerheblicher Teil der Unternehmen noch immer ungeschützt. Neben einem Basisschutz, der verhältnismäßig wenig kostet, geht es vor allem um das Identifizieren und Schützen der sogenannten „Kronjuwelen“, heißt der wichtigsten Unternehmensinformationen. „Denn wir können nicht alles gleichermaßen schützen“, resümiert Wagner.

In seinem Vortrag stellte Prof. Werner Gleißner, Vorstand der FutureValue Group AG, die zentrale Frage: Wie riskant ist die Welt wirklich? Unter dem Untertitel: Krisen, Kriege, Katastrophen, Disruption und „VUKA“ führte Gleißner an, dass wir von Informationen zu Risiken überschüttet werden. Sei es zu humanitären Krisen, dem Klimawandel oder in Bezug auf Handelskriege sowie dem Terror.

Prof. Werner Gleißner: Krisen, Kriege, Katastrophen, Disruption und „VUKA“

Prof. Werner Gleißner: Krisen, Kriege, Katastrophen, Disruption und „VUKA“. (Bildquelle: RMA)

Das Gesamtrisikobild wird von vielen Medien und manchen Organisationen unterstützt, wie beispielsweise durch das Weltwirtschaftsforum. Also Experten, die mit ihren Voraussagen ein Meinungsbild abgeben und keine datenbasierte Auswertung liefern. Schaut man indes auf die Datenlage, so zeigt sich ein anderes Bild. Vor dem Hintergrund des Grundprinzips zur Bewertung von „risikobehafteten“ Sachverhalten und Maßnahmen-Priorisierungen müssen Daten quantifiziert, aggregiert und relativiert werden. Beispielsweise würden sich nach Gleißners Worten die Umweltindikatoren bei einem genaueren Blick in ihrer Gesamtheit verbessern.

Im Umkehrschluss heißt das: Um zu einer wirklichen Einschätzung zu gelangen, braucht es die Zahlen dahinter. „Wir haben ein falsches Bild der Realität“, gerade „wenn wir es mit Bildern geliefert bekommen“, erklärt Gleißner. Hierzu tragen spektakuläre Meldungen zu Haiangriffen, Flugzeugabstürzen oder Naturkatastrophen bei. Allerdings verwischen solche Informationen die Wirklichkeit. Denn die großen Risikothemen seien nach den Worten Gleißners die Todesfälle durch Rauchen, Lungenentzündungen oder die 2,6 Millionen Menschen, die jährlich alleine an den Folgen durch Fehlbehandlungen sterben. Im Grunde nehmen wir meist die Daten her, die uns am einfachsten erscheinen. Gleißner: „Natürlich gibt es Bedrohungen – wie Massenvernichtungswaffen, Pandemien und digitale Disruption – aber das größte Risiko könnte es sein, die Treiber der positiven Entwicklung zu gefährden.“

Damit schließt unsere Nachbetrachtung zum ersten Tag des Risk Management Congress 2019 und dem Fokus auf  das Chancen- und Risikomanagement in Deutschland, Europa und der Welt.