Risk Management Congress 2015 - Nachlese

Vom Chancen- und Risikomanagement in allen Facetten

Vom Chancen- und Risikomanagement in allen Facetten

Im neuen „Atlas der Globalisierung“ schreibt die Redaktion von „Le Monde diplomatique“ zum Thema Wachstum: „Kapitalistische Gesellschaften sind Wachstumsgesellschaften, ihre relative Stabilität erhalten sie durch permanente Bewegung. Damit alles bleibt, wie es ist, oder zumindest nicht schlechter wird, müssen sie wachsen – wer stillsteht, fällt zurück.“ Dies vor Augen, ringen die Staaten und internationale Konzerne dieser Welt um Macht und Einfluss. Es geht um Chancen- und Risikomanagementmanagement in allen Facetten und am Ende um den Zusammenhang von „Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte.“ Diese drei Kernbegriffe formulierte Markus Gürne, Leiter der ARD-Börsenredaktion, zu Beginn seiner Keynote „Der freie Fall der freien Märkte“ im Rahmen des Risk Management Congress der RMA.

 

Von Flüchtlingen und nationalstaatlichen Interessen

Während der 10. Konferenz der Risikomanager am 21. und 22. September 2015 in Stuttgart wurde Gürne vor rund 180 Teilnehmern aus Wirtschaft und Wissenschaft deutlich. Im Mittelpunkt stünden am Ende immer die eigenen nationalstaatlichen Interessen. Beispielsweise setzen die USA auf die Karte des Freihandelsabkommens TTIP oder die NATO, um sich ihren Einfluss in Europa zu sichern. Ein großes Risikopotenzial sieht Gürne im Zerfall vieler arabischer Staaten, in denen es keine staatliche Ordnung mehr gibt. Die Folge sind Bürgerkriege, kollabierende Staaten und Flucht in immensem Ausmaß. Gürne: „234 Millionen Menschen, sagt der Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen, sind weltweit auf der Flucht.“ Und diese Menschen flüchten nicht auf die Südhalbkugel. Ergo stehen wir in Europa vor enormen Herausforderungen in puncto zukünftiger Flüchtlings- und Migrationspolitik. Das Spannungsfeld, in dem wir uns befinden: Die Länder der Europäischen Union werden einerseits von den Flüchtlingsströmen überrannt, während andererseits die Europäische Union zu zerfallen droht. Letzteres sei nach den Worten des langjährigen Auslandskorrespondenten Gürne vor allem auf die planlose Flüchtlings- und Migrationspolitik in Europa zurückzuführen. Mehr noch überwiegen nationalstaatliche Interessen in der EU, vor allem zu Fragen der Flüchtlingspolitik. Die Fakten sprechen für sich. Während einzelne EU-Staaten Flüchtlinge aufnehmen, bauen andere Mauern auf und schotten sich ab.

 

 Markus Gürne, Leiter der ARD-Börsenredaktion, sprach über den freien Fall der freien Märkte.

 

Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Konflikt im Nahen Osten uns langfristig beschäftigen wird, sowohl organisatorisch als auch monetär. Am Ende sieht Gürne eine Bedrohung unserer drei Grundwerte in Europa: Frieden, Freiheit und Wohlstand.

In diesem Kontext spielen auch internationale Konflikte eine entscheidende Rolle. „Politik setzt den Rohstoff Öl als Waffe ein“, so Gürne. Das führt zu globalen Interessensverflechtungen und -konflikten, wie der Iran und das politische Gezerre um eine Einigung mit den politischen Machthabern in Teheran auf internationaler Ebene zeigt. Beispielsweise ist ein Ziel des deutschen Iran-Engagements unter anderem die Abhängigkeiten von Russlands Energielieferungen zu durchbrechen und mit dem Iran eine wichtige Alternative als Öl-Lieferant zu schaffen.

 

Lieferanten prüfen, Risiken minimieren …

Um globale Verflechtungen und Lieferanten geht es auch in der Automobilbranche. Ein Beispiel: Porsche. Das Unternehmen ist mit über 22.000 Mitarbeitern (Stand 2014) in 125 Märkten weltweit aktiv. Um die von Porsche ausgerufene „Strategie 2018“ mit einem wertschaffenden Wachstum zu realisieren, braucht es professionell strukturierte Prozesse und Handlungslinien. Vor allem vor dem Hintergrund, dass es im Beschaffungsumfeld vielfältige Risiken gibt – von Lieferantenrisiken über Umfeld- bis zu Marktpreisrisiken. Für Karin Lattwein, Leiterin des unternehmensweiten Risikomanagements bei Porsche, geht es im Lieferantenumfeld um das „frühzeitige Erkennen instabiler Lieferanten aus qualitativer, finanzieller oder logistischer Sicht“. Wie wichtig diese strukturierte Voraussicht ist, verdeutlichte die Risikomanagerin am Beispiel der Erfahrungen rund um die Finanzkrise der Jahre 2008/2009. „Lieferanten mit einer teilweise dünnen Eigenkapitaldecke hatten mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen und bekamen ihrerseits nicht die benötigten Rohstoffe zur Produktion, was zu Lieferausfällen gegenüber den Kunden führte“, so Lattwein.

 

Karin Lattwein, Risikomanagerin bei Porsche und ihr Blick auf das Lieferantenrisikomanagement.

 

Ein Problem für Automobilhersteller, mit dem auch Porsche zu kämpfen hatte. Im Zuge einer Neuausrichtung des Risikomanagementprozesses setzt der Porsche-Konzern seither auf ein klares „Lieferantenrisikomanagement“. Und das bedeutet, neben qualitativen und prozessualen Problemen beim Lieferanten spielen die Verfügbarkeit von Rohmaterialien und die finanzielle Stabilität der Lieferanten eine wesentliche Rolle für die Versorgungsstabilität beim Kunden. Im Klartext heißt das, funktionierende und vor allem stabile Lieferanten-Partnerschaften aufzubauen. Dabei orientiert sich der grundsätzliche Prozess am klassischen Risikomanagementprozess – von der Risikoidentifikation über die Analyse und Bewertung bis zur Risikohandhabung und -überwachung. Nach den Worten von Lattwein muss sich das Risikomanagementsystem an drei Bewertungsdimensionen messen lassen: an der Risikoorientierung sowie der Nutzer- und Technologieorientierung.

 

... und die vierte Dimension

Die „vierte Dimension“ brachte Ian Beale vom CEB Risk Management Leadership Council ging in seinem Vortrag „Reducing Risk Management’s Organizational Drag” in die Diskussion ein. Und die heißt der „Mensch“. Dies konkretisierte Risikomanagementexperte Beale unter der Subline „Missing the people dimension“ und meint unter anderem, dass 50 Prozent der festgestellten Fehlverhalten im Risikomanagementumfeld von den Mitarbeitern nicht gemeldet werden. Das ist nach Beales Worten ein hemmender Faktor für ein effektives Risikomanagement. Wichtig sei das mittlere Management, um Risikomanagementprozesse und -praktiken zu verstärken. Ein weiterer Hemmschuh auf dem Weg zu gut funktionierenden Prozessen sind unklare Risikoverantwortlichkeiten. Das führt beispielsweise zu dem Effekt, dass organisationsintern unklare Verantwortlichkeiten zu einer Vervielfältigung der Aufwände führt. Bis zu neun Risikoverantwortliche identifizierte CEB je nach Risikobereich in Organisationen. Das führt wiederrum zu Unsicherheiten im Umgang mit Risiken in den eigenen Reihen. Vor allem Mitarbeiter ohne Managementfunktionen verstehen vielfach nicht die Geschäftsrisiken, die in ihrem Umfeld existieren. Auch in Bezug auf das Kommunikationsverhalten des Top-Managements gibt es vielfach Verbesserungspotenzial. Nach Beale erkennen nur 32 Prozent der Mitarbeiter, dass die Führungspersonen im Unternehmen die Bedeutung von Risikomanagement für die eigene Organisation vermitteln. In diesem Kontext sei das Managen des Mitarbeiterverhaltens ein wesentlicher Schlüssel für den Erfolg von Risikomanagement.

 

 

Ian Beale von CEB und seine These vom „Missing the people dimension“.

 

Von Reputationsrisiken, der digitalen Transformation und Entscheidungsregeln

Was passieren kann, wenn Mitarbeiter die Rolle von Risikomanagement für die eigene Organisation nicht verstehen oder vom eigenen Management nicht abgeholt werden, verdeutlichte Dr. Steffen Bunnenberg in seinem Vortrag zu „Reputationsrisikomanagement Heute und in der Zukunft“. Der Gründungspartner der Sozietät „Bunnenberg & Bertram“ und Leiter des RMA-Arbeitskreises Reputationsrisikomanagement ging unter anderem auf die automatisierte Kommunikation durch Online-Medien und sozialer Netzwerke ein. Meldungen vervielfachen sich in einem rasanten Tempo. Als Beispiel nannte Bunnenberg unter anderem die VW-Krise und schlussfolgerte, dass die Verantwortlichen zu langsam reagierten. Die Folge ist ein immenser Reputationsverlust für den Konzern. Reputationskrisen lassen sich unterteilen in originär externe Reputationsrisiken, in originär interne Reputationsrisiken, wie Aussagen von Mitarbeitern, sowie in abgeleitete Reputationsrisiken aus bestehenden und erfassten Risiken. Vor allem die Aussagen von Mitarbeitern unterschätzen viele Unternehmen.

 

Für Dr. Steffen Bunnenberg ist Reputationsrisikomanagement ein interdisziplinärer Prozess.

 

Eine monetäre Bewertung von Reputationsrisiken sei nach Bunnenberg regelmäßig nicht möglich. Vielmehr ist Reputationsrisikomanagement ein interdisziplinärer Prozess und immer auch eine Aufgabe des Top-Managements. Ein wesentlicher Faktor ist das Thema Zeit. Denn eine Kommunikation unter Beachtung rechtlicher Vorgaben, insbesondere von Fristen und Inhalten, muss zügig erfolgen.

Auf die Schnelllebigkeit im Umgang mit Risiken und der zunehmenden Digitalisierung ging Jörg Walbaum in seinem Vortrag zu „Rating und Risikomanagement“ ein. Der Senior Rating Analyst bei der Euler Hermes Rating GmbH beschrieb die „Veränderungstreiber und digitale Transformation am Beispiel der Mode- und Textilbranche“ und benannte unterschiedliche Faktoren im Handel. Hierzu gehörten nach den Worten Walbaums die technologische und gesellschaftliche Entwicklung sowie die demografische, nachfrage- und markbezogene Entwicklung. Bei seinem Vergleich des „Modemarktes heute“ mit dem von „morgen“ zeige sich, wohin die Reise im Modebereich geht. Neben dem Thema „Nachhaltigkeit“ spielen zukünftig individualisierte Produkte, ein auf die Kunden zugeschnittenes Einkaufserlebnis sowie mobile Online-Kanäle eine entscheidende Rolle in der Bekleidungsbranche. Auf diesen Veränderungsprozess muss auch das Risikomanagement reagieren. Denn es kommt zu tendenziell steigenden Geschäfts- und Finanzrisiken. Die „Digitale Revolution“ erhöhe die Beschaffungs-, Nachfrage-, Steuerungs- und Prozessrisiken. Infolge dessen muss sich das Risikomanagement der dynamischen Entwicklung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft anpassen.

Einen Blick über den Tellerrand des Risikomanagements gewährte Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier von der Universität Konstanz in seinem Vortrag „Die Intelligenz einfacher Entscheidungsregeln in einer ungewissen Welt“. Für Gaissmaier hilft das statistische Denken, Entscheidungen zu treffen, wenn alle relevanten Alternativen, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt sind. Demgegenüber kann die „Intuition“ ein guter Ratgeber sein, sollten wir Entscheidungen treffen müssen, wenn nicht alle Alternativen, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt sind. Ein Beispiel: „Die „Blick-Heuristik“ im Baseball hilft einen Ball zu fangen, während eine lange Berechnung der Flugbahn an dieser Stelle nicht zielführend ist. Optimierungsstrategien sind für Konstanzer Universitätsprofessor darüber hinaus auch in anderen Situationen nicht hilfreich, sei es beim Schachspiel (NP-hard), bei Verträgen, die auf Vertrauen basieren oder bei der Partnerwahl. Und Gaissmaier schlussfolgert, dass weniger mehr sein könne. So führe das Ignorieren von Informationen zu besseren Entscheidungen und weniger Auswahl erleichtere Kaufentscheidungen.

Apropos Vertrauen: Das Resümee und der Zuspruch rund um die Jubiläumsausgabe der RMA-Risikomanagerkonferenz fiel durchweg positiv aus. Sei es aufgrund der Themenvielfalt, der Interaktion von Praxis und Theorie, einer Verknüpfung von wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Themen oder dem Netzwerkgedanken im Rahmen der Veranstaltung.

Auch die Arbeit der Arbeitskreise als wesentlicher Kern der RMA-Verbandsarbeit kristallisierte sich für alle Teilnehmer als ein echter Mehrwert heraus, was die Podiumsdiskussion zu „COSO versus ISO 31000“ eindrucksvoll unter Beweis stellte. Weitere Erfolge im Weiterbildungsprogramm vervollständigen das positive Bilder der RMA. So konnten im Rahmen des Kongresses die Teilnehmer des Weiterbildungsprogramms zum Enterprise Risk Manager (Univ.) geehrt werden. Die universitäre Initiative beruht auf einer Zusammenarbeit zwischen der RMA und dem Forschungszentrum für Risikomanagement der Universität Würzburg.

 

Die Absolventen des Weiterbildungsprogramms zum Enterprise Risk Manager (Univ.).

 

Für Ralf Kimpel, Vorsitzender des Vorstands der RMA, ist die RMA mit ihren vielfältigen Aktivitäten im Risikomanagementumfeld auf einem guten Weg die kommenden Herausforderungen im Sinne des Risikomanagements zu meistern. Und das spiegelte die 10. Konferenz der Risikomanager, der Risk Management Congress, imposant wider. Damit steht die RMA insbesondere für das eingangs erwähnte Wachstum und die Stabilität. Dass das so bleibt, davon können sich alle Interessenten auf dem kommenden Risk Management Congress, am 19. und 20. September 2016 in Stuttgart, überzeugen.

 

Sieht die RMA auf einem guten Weg im Sinne des Risikomanagements: Ralf Kimpel, Vorsitzender des Vorstands der RMA.