Verzerrte Risikowahrnehmung: Extremrisiken lassen sich nicht über Risikobefragungen ermitteln!

Editorial der RMA-News im Controller Magazin

 

Sehr geehrte Risikomanager*innen und Ratinganalyst*innen,

wie zu Beginn jeden Jahres wurden durch das World Economic Forum und die Allianz wieder zwei bedeutsame Befragungen zur aktuellen Risikolage für Menschen und Unternehmen weltweit veröffentlicht. Wesentliche Erkenntnisse daraus haben wir Ihnen auch in zwei Beiträgen zusammengefasst. Beide Studien sind grundsätzlich gut geeignet, als ein Indikator für Themen, mit denen sich Unternehmen auch aus Risikogesichtspunkten auseinandersetzen sollten. Sind sie aber gut geeignet, um eine Aussage über das künftige Risiko für Unternehmen abzuleiten? Dies muss man ernsthaft infrage stellen.

Auf den ersten Blick wenig überraschend sehen beide Studien in diesem Jahr Infektionskrankheiten bzw. Pandemien in der Spitzengruppe der Risiken. Sehen wir uns doch gerade einer entsprechenden weltweiten bedrohlichen Lage ausgesetzt. Genau dies ist aber das Problem. Hat sich denn wirklich das Pandemierisiko im letzten Jahr im Vergleich zu den Vorjahren gravierend verändert? Ein Risiko charakterisiert bekanntlich die Unsicherheit über die Zukunft, geplante Ziele zu verfehlen. Man unterscheidet nach der Wahrscheinlichkeit eines Risikos und den möglichen Auswirkungen beim Eintritt. Die COVID-19-Pandemie ist bereits eingetreten. Der Eintritt an sich ist also nicht mehr unsicher. Die direkten künftigen Auswirkungen davon lassen sich naturgemäß noch nicht genau beziffern, von möglichen Folgekrisen ganz abgesehen. Hier ist also sicher noch ein Risiko vorhanden. Da vernünftigerweise die aktuellen Unternehmensplanungen für die Jahre ab 2021 die derzeitige pandemische Lage berücksichtigen, ist die mögliche negative Abweichung davon aber nicht mehr so hoch. Im Vergleich zu Anfang 2020 hat sich die Gefahrenlage hinsichtlich der aktuellen Pandemie, das Downside-Potential, also verringert.

Wie ist es in Bezug auf das Risiko von künftigen Pandemien? Hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass Pandemien auftreten können in den letzten zwei Jahren deutlich erhöht? Vermutlich ist das nicht der Fall. Im Gegenteil, man könnte argumentieren, dass man aufgrund der derzeitigen Situation besser auf ein solches Ereignis vorbereitet sein sollte, weil bspw. die technische Ausstattung für virtuelle Zusammenarbeit zur Verfügung steht und geänderte Arbeitsabläufe in der Praxis erprobt sind. Statt einem stark gestiegenen Risiko könnte man also eher sogar ein geringeres Risiko vermuten. Risikoforscher haben in den vergangenen Jahren auch immer wieder darauf verwiesen, dass bspw. Pandemien ein viel größeres Risiko darstellen als Umweltkatastrophen. Es sei hier beispielhaft an einen entsprechenden Vortrag von Prof. Dr. Werner Gleißner, einem Beirat der RMA, auf dem Risk Management Congress im Herbst 2019 in Berlin erinnert.

Wir haben es hier mit einem Beispiel einer verzerrten Wahrnehmung in Bezug auf Risiken zu tun. In Befragungen wie dem Global Risk Report oder dem Risk Barometer dominieren Risiken, die gerade prominent diskutiert werden, weil sie gerade eingetreten sind. Man muss sich hier lediglich den zeitlichen Verlauf der jeweils hoch eingeschätzten Risiken betrachten. Infektionskrankheiten finden sich bspw. beim Global Risk Report des Jahres 2020 weder bei der Eintrittswahrscheinlichkeit noch bei den Auswirkungen unter den Top-5-Risiken. Letztmalig 2015 waren Infektionskrankheiten dort vertreten. Stattdessen haben Umweltrisiken klar dominiert.

Was können wir daraus für das unternehmerische Risikomanagement lernen? Wie oben schon ausgeführt, sollte man sich im Unternehmen durchaus mit den Ergebnissen von solchen Risikobefragungen auseinandersetzen. Geben sie doch einen guten Hinweis auf aktuelle Themen, mit denen man sich auch beschäftigen sollte. Als eine Art priorisierte Checkliste zu aktuell relevanten, möglicherweise bestandsgefährdenden Risiken sind sie aber schwerlich zu gebrauchen. Stattdessen sind systematische Verfahren notwendig, Extremrisiken zu analysieren. Dies wurde auch schon in einem RMA Webinar im Januar 2021 deutlich gemacht. Wir bieten Ihnen daher, als erstes von künftig weiteren Seminaren, am 9. Juni 2021 ein halbtägiges Online-Seminar an, das praxisgerechte und bewährte Techniken der Extremrisikoanalyse vermittelt. Der Schwerpunkt liegt hier auf volkswirtschaftlichen Krisen, ihren Ausprägungen und potenziellen Folgen für Unternehmen. Wir würden uns freuen, Sie als Teilnehmer begrüßen zu dürfen.

Ich darf Sie auch noch auf den Risk Management Congress am 17./18. Mai 2021 in Köln hinweisen. Zum Stand des Redaktionsschlusses der vorliegenden Ausgabe gehen wir davon aus, Sie persönlich in Köln begrüßen zu dürfen. Es erwartet Sie wieder ein abwechslungsreiches Programm mit Beiträgen bspw. von Vertretern der Allianz Technology SE, der Carl Zeiss AG, der Deutschen Post DHL Group, der Deutschen Telekom AG oder der KUKA AG. Sollte die Konferenz aufgrund der Pandemie-Lage nicht in Präsenzform stattfinden dürfen, so werden wir diese virtuell abhalten. Über Ihre Teilnahme würden wir uns freuen!