Risk in focus: mehr Zeit und Mühe für die Geopolitik gefordert

Zeitenwende, die. Der Duden versteht darunter „das Ende einer Epoche oder Ära und der Beginn einer neuen Zeit“. Nun ist in den letzten Monaten viel von der Zeitenwende die Rede – sei es in der Politik, den Medien, aber auch in Unternehmen. Doch stimmt diese Einordnung?

Hintergrund der Frage ist, dass zwar einerseits die Ära des relativen Wohlstands, der Sicherheit und absehbarer Marktentwicklungen vorbei ist. Andererseits befinden wir uns aber bereits inmitten einer neuen Zeit mit zunehmenden Unsicherheiten, Risiken und Krisen. Das heißt: Vom Beginn einer neuen Ära kann längst keine Rede mehr sein, mit Blick auf die seit Jahren größer werdenden Risiko- und Krisenszenarien im internationalen Maßstab. 

Und diese Bandbreite fängt beim Ukraine-Krieg und den Energieengpässen an und hört bei zerbrochenen Lieferketten, Unwetterkatastrophen sowie Finanzmarktturbulenzen noch nicht auf. Im Klartext heißt das: Wir sind mittendrin in globalen Umbruch, statt nur dabei. Oder wie es das Magazin Cicero im Mai 2022 formulierte: „Wir befinden uns jetzt in einer Zeit, in der es abermals zu Verschiebungen kommt – was nicht unbedingt bedeutet, dass der Wandel sofort eintritt.“

Der Schwarze Schwan ist fehl am Platz

Wenn wir diese Risiko- und Krisenlandkarte etwas genauer anschauen, fällt auf, dass viele der aktuellen Verwerfungen vorhersehbar waren. Das zeigt sich bei der Corona-Pandemie, aber auch im Fall des Krieges in der Ukraine sowie bei den aktuellen Energiediskussionen. Nicht wenige Experten sprechen bei den genannten Geschehnissen von einem Schwarzen Schwan (Black Swan), sprich unvorhersehbaren Ereignissen mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit. Auch hier sei wiederholt die Frage erlaubt: Stimmt das? Die Antwort ist klar und lautet: nein. Denn offizielle Dokumente des Robert-Koch-Instituts warnten bereits im Jahr 2012 vor einer weltweiten Pandemie. Und auch der Ukraine-Krieg ist ein seit Jahren bestehender Konflikt im geopolitischen Maßstab. Der nahm nicht im Februar 2022 seinen Anfang, sondern ist bereits seit den Maidan-Protesten ab November 2013 real. Gleiches gilt für die bestehende Energiekrise. Zwar wird die Politik nicht müde, den Krieg in der Ukraine als Vorwand für die aktuelle Energieknappheit zu zitieren. Aber das ist ein Trugschluss, denn der jahrzehntelange Zickzack-Kurs, mit halbherzigen Entscheidungen der politisch Verantwortlichen bei der Energiepolitik und -wende, führte in dieses „Energiedilemma“. Die Risiko- und Krisenlandkarte ist damit noch nicht zu Ende studiert und so lassen sich auf ihr weitere und zugleich vorhersehbare Dilemmata ablesen – seien es Cybergefahren oder der Fachkräftemangel. Damit zeigt sich, dass der Schwarze Schwan als Symbol des unvorhersehbaren und eines wenig realen Eintritts in den genannten Fällen fehl am Platz ist.

Risk in focus: Von Cyberrisiken und der unterschätzten Geopolitik

Wer die einschlägigen Risikostudien der letzten Jahre verfolgt, für den dürften Cybergefahren keine Unbekannte sein. Eine Erkenntnis, die auch die jüngste Studie „Risk in focus 2023“ des Deutschen Instituts für Interne Revision e. V. in Kooperation mit weiteren europäischen Revisionsinstituten bestätigt. Demnach nannten (wie bereits im Jahr 2022) 82 Prozent der mehr als 830 Befragten das Thema der Cyber- und Datensicherheit als das Top-Risiko für die eigene Organisation. Auf Platz zwei folgen die Human-Resources(HR)-Themen der Mitarbeiterbindung und -gewinnung sowie der Diversität (50 Prozent der Nennungen). Makroökonomische und geopolitische Risiken sind für 46 Prozent der Befragten eines der Top-5-Risiken und folgen somit auf dem dritten Platz. Bei der Frage, welche die fünf größten Risiken sind, denen sich die Teilnehmer in drei Jahren ausgesetzt sehen, belegen ebenfalls Cybergefahren Platz eins (über 75 Prozent), gefolgt von den HR-Themen mit über 50 Prozent. Auf dem dritten Platz sehen die Befragten den Themenkomplex des Klimawandels und der Nachhaltigkeit (über 50 Prozent).

Mit Blick auf die durch geopolitische Verwerfungen bis dato entstandenen Krisen sowie potenziellen Risiken für Organisationen, verwundert die niedrige Priorisierung des Themas bei Prüfungsschwerpunkten (Audit-Fokus). Zwar sehen rund 45 Prozent der Befragten eine Risikopriorisierung bei makroökonomischen und geopolitischen Risiken, aber nicht einmal zehn Prozent wenden die notwendige Zeit und Mühe für diesen Themenkomplex im Rahmen der internen Revision auf. 

Dieses Ergebnis gibt vor allem deshalb zu denken, weil geopolitische Risiken in allen Bereichen negative Auswirkungen auf die Geschäftsfelder haben. Dies zeigt sich nicht zuletzt im Fall des aktuellen Ukraine-Krieges mit massiven Turbulenzen in fast alle Branchen. Im Umkehrschluss könnte es auch heißen: Alles hängt mit allem zusammen. Von daher sollten Revisionsleiter, Vorsitzende von Audit Committees und Fachexperten einen stärkeren Fokus auf geopolitische Risiken legen. Dies erscheint umso wichtiger, als unsichere Zeiten eine stabile Planung und Vorausschau für Organisationen jeder Größe und in allen Branchen benötigen. Wer dies beherzigt, der wird als Organisation besser bestehen – auch inmitten von Krisenzeiten. Denn die Zeitenwende ist längst passé. 

Übrigens bietet die RMA Risk Management & Rating Association e.V. mit ihrem Arbeitskreis „Internen Revision und Risikomanagement“ Hilfestellungen an: von der Zusammenarbeit der Interner Revision und des Risikomanagements in der Praxis über die Erarbeitung einzelner Themen im Rahmen der Revisionsarbeit bis zur Vertretung von Themen zum Risikomanagement auf DIIR-Tagungen und Veranstaltungen der RMA. Bei Interesse wenden Sie sich gerne an unseren Arbeitskreisleiter Dominik Turri (Dominik.turri@burda.com). 

Weitere Informationen finden Sie bei unserem Arbeitskreis Interne Revision und Risikomanagement.