Controlling und Risikomanagement in der Corona-Krise: Lessons Learned (oder noch nicht?)

Editorial der RMA-News im Controller Magazin

Liebe Leserinnen und Leser,

eine Rezession mit ihren für viele Unternehmen gravierenden Auswirkungen, wie die aktuelle „Corona-Krise“, fordert in besonderer Weise Risikomanagement und Controlling, z.B. weil die Unternehmensplanung anzupassen und Maßnahmen zur Liquiditätssicherung zu initiieren sind. Man erkennt schnell, dass Controlling und Risikomanagement in Unternehmen sehr unterschiedlich auf die Corona-Krise reagieren – und in der Zwischenzeit teilweise einige Mythen entstehen, z.B. „Die Corona-Krise war ein nicht vorhersehbarer Black Swan“, „das ‚Risiko Pandemie‘ ist ja bereits eingetreten, und damit kein Thema mehr für das Risikomanagement“ etc …

Dies trifft natürlich nicht zu. Was sind die Sachverhalte, die man wegen der Krise beachten sollte? Einige Beispiele, mit besonderem Bezug auf Risikomanagement und Controlling:

1. Eine Pandemie ist kein unvorhersehbares Ereignis, sondern das Resultat eines seit langem bekannten „Extremrisikos“, das bei einer Risikoanalyse behandelt werden sollte.

2. Die Analyse von seltenen Extremrisiken mit hohen Auswirkungen, die potenziell zu makroökonomischen Krisen führen können, wird bei vielen Unternehmen vernachlässigt, obwohl genau hier „bestandsgefährdende Entwicklungen“ ausgelöst werden können.

3. Die gestiegene Unsicherheit durch den weiteren Konjunkturverlauf in der Corona-Krise fordert das Risikomanagement im Besonderen: Notwendig ist ein zügiges Update der Risikoanalyse, unter besonderer Beachtung möglicher Ausfallrisiken bei Kunden und Lieferanten, und das Aufzeigen der Veränderung des Insolvenzrisikos des eigenen Unternehmens (also möglicher bestandsgefährdender Entwicklungen im Sinne § 91 AktG). Prof. Dr. Werner Gleißner, FutureValue Group AG (Vorstand) TU Dresden (BWL, insb. Risikomanagement) kontakt@FutureValue.de www.FutureValue.de www.werner-gleissner.de 

4. Unternehmen müssen ihren Liquiditätsbedarf risikoadäquat berechnen. Dies gelingt nur mittels Risikoaggregation (MonteCarlo-Simulation), da gerade die bestehenden Risiken zu einer unerwarteten Liquiditätsinanspruchnahme führen können, die durch die Liquiditätsreserve abzudecken ist. Wir sehen, dass viele Unternehmen mangels sachgerechter Risikoaggregation den nun erhöhten Liquiditätsbedarf aber nicht berechnen können.

5. Das Controlling sollte erkennen, dass einfach das Ersetzen des bisherigen Planszenarios 2020 durch ein neues Planszenario wenig nutzt. Dieses wird nämlich genauso wenig eintreten wie das bisherige Planszenario. Existierende Risiken und auch die Unsicherheit über einen Krisenverlauf zeigen erneut, dass die Zukunf tsentwicklung nur durch eine Bandbreite sinnvoll beschrieben werden kann – und deren Berechnung erfordert eine Risikoaggregation zur Auswertung der Kombinationsef fekte von Einzelrisiken (es ist passend, dass der gerade aktualisierte IDW Prüfungsstandard 340 noch deutlicher als bisher auf die zentrale Bedeutung der Risikoaggregation in den Risikofrüherkennungssystemen verweist).

6. Vorstände und Geschäftsführer treffen nun in einer Hochrisikosituation „unternehmerische Entscheidungen“ (§ 93 AktG) und sollten dokumentieren, welche Wirkung diese auf die Unternehmensrisiken haben. In vielen Unternehmen fällt nun auf, dass z.B. bei früheren Single-Sourcing-Entscheidungen man neben den Kosteneinsparungen auch die mit diesen verbundene Erhöhung des Risikoumfangs hätte berücksichtigen sollen. Die Corona-Krise demonstriert auch den (potenziellen) Nutzen eines entscheidungsunterstützenden Risikomanagements (im Sinne des DIIR Revisionsstandard Nr. 2 von 2018).

Insgesamt zeigt jede Krise, die wie immer aus eingetretenen Risiken entstanden ist, wie verbesserungswürdig in vielen Unternehmen die Fähigkeiten im Umgang mit Chancen und Gefahren (Risiken) entwickelt sind – und wo Schwachpunkte bei der Robustheit der Strategie bestehen. Es gilt also nun nicht einfach noch mehr zu digitalisieren oder Lieferketten zu hinterfragen, um sich auf eine zukünf tige Pandemie besser vorzubereiten. Notwendig ist eine ganzheitliche und systematische Analyse aller wesentlichen Risiken, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist. Die Fähigkeiten im Umgang mit Chancen und Gefahren sollen im Risikomanagement, aber auch gerade im Controlling, verbessert werden. Die Zeit der Planung mit Einzelszenarien sollte vorbei sein.

Prof. Dr. Werner Gleißner

Auszug der RMA-News im Controller Magazin Juli/August 2020. Weitere Berichte der aktuellen RMA-News finden Sie hier: https://rma-ev.org/news-publikationen/news-risk-blog/einzelansicht-blog/die-neue-ausgabe-der-rma-news-im-controller-magazin-juli-august-2020-ist-jetzt-verfuegbar